Ein Wundergewebe durchwandert die Welt
Es ist vielleicht langweilig, wenn das hier besprochene Firmenbuch schon wieder aus der Textilindustrie stammt (vgl.: https://www.hermannlohss.de/buch-der-woche/die-industrie-der-zauberer). Aber auf den hiesigen Floh- und Büchermärkten ist diese Branche überproportional vertreten, da regional dieser Industriezweig große Bedeutung hatte. Inzwischen haben die meisten dieser traditionsreichen Firmen auf der Schwäbischen Alb und drumherum allerdings ihren Betrieb eingestellt. Nur ein Affe treibt manchmal in einem Werbespot im Vorabendprogramm sein Unwesen.
Walde Huth
Das vorliegende Buch erschien 1954 zum hundertjährigen Bestehen der Samtfabrik Gottlieb Ott Sohn in Ebingen. Walde Huth (1923-2011) fotografierte für diesen Jubiläumsband während ihrer Stuttgarter Zeit, also bevor sie 1958 Karl-Hugo Schmölz heiratete und mit diesem zusammen ein Atelier in Köln eröffnete.
In acht Kapiteln schildert der Textautor Willi Schickling ausführlich die Geschichte der Herstellung und der Verwendung des Samts. Dabei erstaunt ein wenig, dass die Jubiläumsfirma eigentlich erst in den letzen drei Kapiteln, die etwa die Hälfte des Buches umfassen, wirklich die Hauptrolle spielt. Zuvor werden die Entwicklungen im Orient, Europa (insbesondere in England) und Württemberg genauer betrachtet. Der Autor nähert sich also dem Gegenstand des Interesses nach und nach geografisch an.
Titelseite |
Violett als Leitfarbe
Während die ersten Kapitel vor allem mit gezeichneten Illustrationen versehen sind, werden in den Kapiteln, die sich speziell der Firma Gottlieb Ott Sohn widmen, auch häufiger Fotografien verwendet. Einige meist ganzseitige Farbtafeln zeigen sowohl Bilder aus dem Herstellungsprozess der Stoffe, als auch Aufnahmen, die genauso gut in einer Modezeitschrift der damaligen Zeit hätten veröffentlicht werden können. Kein Wunder, da Walde Huth für ihre Modefotografien zum damaligen Zeitpunkt bereits durchaus bekannt war. Einige der zumeist kleinerformatigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind violett eingefärbt. In dieser Farbe sind auch die meisten der verwendeten Grafiken abgedruckt, was dem Buch trotz der Nutzung zahlreicher unterschiedlicher Gestaltungselemente eine gewisse Homogenität verleiht. Auch der Einband zeigt einen Stoff in violetter Farbe und daneben florale Muster, deren Verwendung sich ebenfalls durchs gesamte Buch zieht, unter anderem für die Lettern am Beginn der einzelnen Abschnitte.
Doppelseite 101 / 102 |
Aus der hier beispielhaft gezeigten Doppelseite lässt sich ersehen, dass im Kapitel, das vornehmlich den Herstellungsschritten in der Produktion von Samtstoffen gewidmet ist, der Schwerpunkt auf die handwerkliche Tätigkeit gelegt wird. Das gilt sowohl für die im Text gerühmte Qualifikation der ArbeiterInnen, als auch für die in den Bildern gezeigten Fertigungsschritte, bei denen meistens der arbeitende Mensch im Mittelpunkt steht. Eindrucksvolle Maschinen spielen im Gegensatz hierzu eher eine untergeordnete Rolle. In allen Kapiteln sind Teile des Texts immer wieder durch grafische Elemente unterlegt. Häufig finden dabei fotografische Illustrationen Verwendung, die zum Beispiel Faltenwürfe auf vielfältige Weise drapierter Stoffe zeigen.
Sigrid und Hans Lämmle zeichnen für „Gestaltung, Graphik und Illustration“ verantwortlich. Werbegrafiken der beiden werden im Buch "Werbeform", das 1954 im Scherpe-Verlag Krefeld erschien, neben Arbeiten von Anton Stankowski oder Hubert und Grete Troost gezeigt.
Auch wenn die Fotografien Walde Huths neben den zahlreichen gezeichneten Grafiken und dem breiten Raum einnehmenden Text nur ein Gestaltungsmerkmal dieses Firmenbuches sind, verdient es durchaus die Aufmerksamkeit von Fotobuchinteressierten.
Fakten:
Willi Schickling: „Ein Wundergewebe durchwandert die Welt“, Ebingen 1954
Fotografien: Walde Huth
Gestaltung, Graphik und Illustration: Sigrid und Hans Lämmle
118 Seiten, zahlreiche Abbildungen (inkl. 7 Farbtafeln), 30 cm x 21,5 cm