1959 Photography Annual

Bruce Downes: "1959 Photography Annual", New York 1958

Das Cover der hier vorgestellten Ausgabe des Photography Annuals von 1959 zeigt im Gegensatz zu früheren und späteren Ausgaben des Jahrbuchs keine mehr oder weniger bekleideten Frauen (vgl. die im Anhang angefügten Bilddateien). Statt dessen ist die Hälfte der Fläche schriftlichen Mitteilungen gewidmet, unter anderem der Ankündigung „Exclusive First Publication: W. Eugene Smith's Monumental Pittsburgh Story“. Es handelt sich somit um den ersten Abdruck des legendären Projekts von W. Eugene Smith (1918-1978), das dieser nach seinem Ausstieg bei Life begonnen hatte.

Eigentlich gedacht für einen ambitionierten Städtebildband Stefan Lorants zu Pittsburgh, erschienen die Bilder Smiths in diesem Zusammenhang erst 1964, sechs Jahre später als die hier vorgestellte Erstpublikation. Lorant nutzte für sein Buch neben vielen anderen, insbesondere historischen Bildquellen eine ganze Reihe der Fotografien Smiths. Trotzdem sind im hier vorgestellten Photography Annual mit 88 Abbildungen einige mehr davon abgedruckt. Allerdings handelt es sich auch hier nur um einen Bruchteil der im Laufe der Jahre entstandenen Fotografien, die auf ungefähr 17.000 geschätzt werden.

"To portray a city is beyond ending."

Gleich in der Einleitung zu seinen Bildern unter dem Titel „A personal interpretation ...“ kommt Smith auf die Probleme des Auftrags zu sprechen: „To portray a city is beyond ending. To begin such an effort is itself a grave conceit. For though the portrayal may achieve its own measure of truth, it will still be no more than a rumor of the city, as meaningful, and as permanent.“ Und was ursprünglich als dreiwöchige Arbeit für das Buch Lorants geplant war, beschäftigte ihn schließlich mehrere Jahre. Fortsetzen konnte er die Arbeit unter anderem aufgrund der Unterstützung durch die Guggenheim-Stiftung.  

Im Vorwort Lorants zu seiner eigenen Publikation klingt das alles sehr unspektakulär: „To show life at present i asked W. Eugene Smith to Pittsburgh to record it with his camera. His photographs taken specially for the book won him eventually a Guggenheim Fellowship.“

 

Stefan Lorant: "Pittsburgh. The Story of an American City"

 

Eine Publikation, die einen genaueren Blick auf dieses Projekt wirft und mehr über die Probleme W. Eugene Smiths erzählt, ist „Dream Street“, herausgegeben von Sam Stephenson im Jahre 2001. Dort werden viele der Hintergründe geschildert, die zum Ausufern der Arbeit führten. Unter anderem spielten Smiths Drogensucht und Depressionen eine Rolle. Ähnlich schildert das ein im letzten Jahr erschienes Begleitbuch zu einer Ausstellung in Montpellier, die sich ebenfalls den Pittsburgh-Bildern Smiths widmete. Gilles Mora erläutert dort in einem längeren Essay seinen Blick auf Smiths Arbeiten, der u.a. auf der vollständigen Sichtung von ca 7.000 Arbeitsabzügen beruht. Bibliografische Angaben zu diesen Büchern finden Sie am Ende dieses Texts in der Rubrik Fakten. Beide lohnen sich, wenn man etwas mehr in dieses Projekt W. Eugene Smiths eintauchen will, da sie auch einiges an zusätzlichem Bildmaterial zeigen.

 

Gilles Mora: "L'impossible Labyrinthe. ..."

"Labyrinthian Walk"

Jetzt aber wieder zurück zum Photography Annual von 1959. Man merkt der Publikation die Probleme Smiths mit der Materialfülle wahrscheinlich ein bisschen an. Nicht nur beim oftmals kleinteiligen Layout, das nicht immer so gut funktioniert wie auf der Doppelseite mit den Straßenschildern. Und trotzdem handelt es sich um eine mehr als bemerkenswerte Publikation. Nicht umsonst ist im von den Herausgebern gewählten Untertitel von „W. Eugene Smith's Monumental Poem to a City“ die Rede. Smith's für die Texte gewählte Sprache bestätigt diese Sichtweise auf das Werk durchaus. Die Einsamkeit von Menschen in der Großstadt, das nächtliche Leben, die Entwicklung der Industrie, die Teilung der Gesellschaft in unterschiedliche Schichten, all das sind Themen, die W. Eugene Smith auf den 36 Seiten, die ihm im Rahmen dieser Publikation zur Verfügung standen, abhandelt. Der Fotograf, der sich mit seinen Bildern selber in einer literarischen Tradition von Werken wie James Joyces "Ulysses" sah, wählte die Überschrift „Labyrinthian Walk“ für seinen bild- und wortmächtigen Essay. Und das trifft es ziemlich genau. Zwischen all den zu schildernden Sichtweisen auf diese Stadt verlor sich Smith dann wohl auch selber.

Und obwohl er sich beim Herausgeber des Jahrbuchs für die Auswahl der Bilder, das Layout und seine Texte völlige Entscheidungsfreiheit ausgehandelt hatte, war er mit dem Ergebnis absolut nicht zufrieden. Gegenüber Ansel Adams schilderte er in einem Brief die Publikation zum Thema Pittsburgh als Debakel.

Picture Books und Wundertüten

Neben dem Bildessay Smiths enthält diese Ausgabe des Photography Annuals ausserdem eine interessante Neuerung. Zum ersten Mal fügten die Redakteure eine eigene Sektion mit Buchvorstellungen hinzu. „Picture books have become increasingly important in recent years. In 1955 a book of photographs – Steichen's Family of Man – for the first time in the history of photography hit the nation's best-seller lists.“ Völlig vergessenes, aber auch ein absoluter Klassiker wie Johan van der Keukens „Achter Glass“ werden da vorgestellt. Womit sich mal wieder bewahrheitet, dass solche Jahrbücher rechte Wundertüten sind. Das vorliegende Heft enthält über die bisher beschriebenen Teile hinaus u.a. einen Essay von George Silk zum Thema Skifahren und einzelne Fotografien von A wie Avedon bis Z wie Zimbel. Ein Anhang mit Thumbnails bringt, neben den damals üblichen Informationen zu Kamera, Film und Belichtung, auch kurze Texte zu Fotografen und Aufnahmesituationen.

 


 

Fakten:

 

„Photography Annual 1959“, New York, 1958

Ziff-Davis Publishing Company

242 Seiten, ungezählte Abbildungen in S/W und Farbe, 28 cm x 21,5 cm

davon 38 Seiten „Pittsburgh“ von W. Eugene Smith

 

Stefan Lorant: „Pittsburgh. The Story of an American City“, New York, 1964

Doubleday & Company

520 Seiten, ungezählte Abbildungen in S/W und Farbe, 31 cm x 24 cm

 

Sam Stephenson (Hrsg.): „Dream Street. W. Eugene Smith's Pittsburgh Project“, New York, 2003

W.W. Norton & Company

ISBN: 978-0-393-32512-6

176 Seiten, 28 cm x 24,5 cm

 

Gilles Mora: „L'impossible Labyrinthe. William Eugene Smith, Pittsburgh 1955.1958“, Paris, 2012

Democratic Books

ISBN: 978-2-36104-062-8

ISSN: 2109-8948

144 Seiten, 119 S/W Abbildungen im Tafelteil, 24 cm x 27 cm

Auflage: 2000 Exemplare

Katalog zu einer Ausstellung im Pavillon Populaire in Montpellier