yatun papa

Einer der bekanntesten deutschen  Fotografen im Bereich des Bildjournalismus ist Thomas Höpker (geb. 1936). Eine seiner frühen Reportagen, die in Zusammenarbeit mit Rolf Winter (als Textautor) 1962 entstand, soll hier kurz vorgestellt werden. In Buchform veröffentlicht wurde sie 1963 unter dem Titel „yatun papa", versehen mit dem Untertitel "Vater der Indianer Dr. Theodor Binder“.

Die Reportage erschien zunächst über zwei Hefte verteilt in der Illustrierten Kristall, für die Höpker, oft im Team mit Rolf Winter, zwischen 1961 und 1964 mehr als 50 Reportagen lieferte. Beide werden neben der Autorennennung im Bezug auf den jeweiligen Artikel auch im allgemeinen Impressum von Kristall genannt. Für das Titelfoto der Zeitschrift wurde eine Farbfotografie ausgewählt. Die Veröffentlichung im Buch verlässt sich ganz auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Diese sind dort in Tiefdruck mit satten Schwärzen wiedergegeben.

Reise nach Peru

Eine Reise nach Peru führte die beiden Journalisten auch ins dortige Amazonasgebiet, den Lebensraum noch relativ ursprünglich lebender indianischer Völker. Rolf Winter schreibt in einem späteren Text zur damaligen Arbeit mit Thomas Höpker: „Seine fotografischen Nachrichten über die Indios in Peru, zum Beispiel, in den frühen sechziger Jahren entstanden, waren und sind anrührende Zeitzeichen, die eine Menge über den schlimmen Prozeß sicht- und begreifbar machen, den wir heute, mehr als zwanzig Jahre später, mit unerträglicher Gelassenheit als das Hinscheiden von Naturvölkern erleben.“

In der zweiten Hälfte des Buches spielt, sowohl im Text als auch in den Aufnahmen Höpkers, die Person des Arztes Theodor Binder, der in Peru ein Hospital im Stile Albert Schweitzers aufgebaut hatte, die zentrale Rolle. Darauf verweist ja auch der Titel des Buches. Wobei „yatun papa“ übersetzt so etwas wie „Vater von allen“ bedeutet. Der Text Rolf Winters wird nicht müde diese Rollenverteilung zwischen den hilflosen Indianern und ihrem „Übervater“ zu betonen. Wobei dieses paternalistische Klischee an einigen Stellen dann doch durchbrochen wird, z.B. als die Funktion der Medizinmänner mit ihren positiven Seiten geschildert wird, wenn Binder die Kenntnisse dieser Personen im Bereich von pflanzlichen Wirkstoffen rühmt.

Ausgabe Nr. 18 der Zeitschrift Kristall, 1962

 

Aber im Mittelpunkt steht der Arzt aus Deutschland: Binder mit einem Röntgenbild am Krankenbett einer Frau, mit einem Kind auf dem Arm, beim Abtasten des Bauches eines Kleinkinds, inmitten seines Teams oder beim Leseunterricht im Rahmen seiner Alphabetisierungskampagne.  Wir sehen Binder aber auch vor seinem Bücherregal oder vor einer Wand mit einem Bild von Albert Schweitzer. Und der Arzt wird von Winter in gewisser Weise als modernere Form eines Albert Schweitzer geschildert. Sein Hospital in Peru, nennt Binder mit Genehmigung seines Vorbildes „Hospital Amazonico Albert Schweitzer“. Originalzitat aus dem Buch: "Hier gibt es nur einen der Mitleid hat, wo bisher allein die Brutalität regierte: Theodor Binder".

Tod eines kleinen Kindes

Im zweiten Kapitel des Buches, noch vor den Bildern mit Binder, geht es um den Tod eines kleinen Kindes. Diese Seiten sind schwarz bzw. grau grundiert und mit weißer Schrift versehen. Und an dieser Sequenz von Bildern und Text lässt sich auch ganz gut sehen, wieviel mehr Möglichkeiten das Buch für die Präsentation der Reportage bietet. Während einzelne der hier gezeigten Bilder auch in Kristall veröffentlicht sind, kommt die Folge von Aufnahmen, die in der Zeitschrift im Übrigen ziemlich flau abgedruckt sind, nicht annähernd an die Erzählweise im Buch heran. Aber dafür ist natürlich auch schon alleine der Umfang der jeweiligen Veröffentlichung verantwortlich. Die beiden Artikel in Kristall, welche im Wesentlichen die Geschichte Binders schildern (das folgende Hefte enthält u.a. eine Farbreportage von Höpker und Winter über Peru), umfassen insgesamt gerade mal 14 Seiten. Das Buch lässt Fotografien und Text weitgehend eigenständigen Raum, verzichtet weitgehend auf direkte Bildtitel und -beschreibungen und bietet immer wieder Platz für mehrseitige Sequenzen von Bildern. Insofern ist der Mittelteil, der den Tod des Kindes schildert, in seiner direkten Verschränkung von Text (hier in für Lyrik typischer Zeilenform abgedruckt) und Bild allerdings eher untypisch.

Voyeure oder Chronisten

Thomas Höpker berichtet in dem Buch „Ansichten. Fotos von 1960 bis 1985“ (1985 erschienen bei der Edition Braus) über die Entstehung der Reportage und seine Erfahrungen: „Zum ersten Mal war ich mit dem Problem konfrontiert: darf man Elend, Krankheit und Tod fotografieren? Wie schafft man es, einem Kind beim Sterben zuzusehen? Die neue Erfahrung: das Glasauge der Kamera wirkt als Maske und Schutzfilter. Der Blick durchs Objektiv schafft die Distanz, die uns Fotografen erlaubt, uns nicht als Voyeure, sondern als Chronisten zu fühlen.“

Der Abdruck eines kurzen Spendenaufrufs für das Amazonas-Hospital in Kristall brachte dem Projekt Binders wohl einiges an finanzieller Unterstützung. Die wachsende Bekannheit und das öffentliche Interesse führten Jahre später vielleicht aber auch zur Entstehung von Problemen. Es kam zu Anschuldigungen und juristischen Auseinandersetzungen um die Arbeit Binders. Wobei Rolf Winter in einem Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit“ quasi die Verteidigung des Arztes übernahm.

 


 

Fakten:

 

Thomas Höpker, Rolf Winter: „yatun papa. Vater der Indianer Dr. Theodor Binder“, Stuttgart 1963
Franckh'sche Verlagshandlung, W.Keller & Co.
112 Seiten, 52 S/W-Abbildungen, 30,5 cm x 23,5 cm, Halbleinen

 

Kristall Ausgaben Nr. 18 und 19 von 1962, ein weiterer Bericht von Rolf Winter und Thomas Höpker über Peru erschienen im darauffolgenden Heft Nr. 20

Kristall Nr. 19, 1962 Kristall Nr. 20, 1962

 


 

Rolf Winter, Thomas Höpker
Thomas Höpker, Rolf Winter, Agathe Bunz