Rasterfahndung

Autor(en): 
Thomas Bayrle: "Rasterfahndung", Frankfurt/Main 1981

Je mehr Fakten über die weltweiten Abhör- und Überwachungsmaßnahmen der Geheimdienste bekannt werden, desto mehr fragt man sich, wie diese Organisationen aus dem unaufhörlichen Datenfluss die für sie relevanten Informationen herausfischen wollen. Wobei es natürlich in vielen Fällen auch nur um die Nutzung der Daten zur nachträglichen Beweisführung bei Straftaten geht, was eine gezielte Suche erleichtert.

Aber schon vor über 30 Jahren wurde erregt über die Treffsicherheit der Verknüpfung von Informationen zu Profilen und den Abgleich großer Datenmengen diskutiert. Damals wurde der Begriff Rasterfahndung geprägt. Im Bereich der innerdeutschen Terrorismusbekämpfung der 1970er und -80er Jahre war das ein viel gebrauchtes Schlagwort, im Jahr 1980 sogar das „Wort des Jahres“. In Zeiten von „big data“ ist das zwar immer noch kein alter Hut, aber technologisch ist das Raster auf ein anderes Niveau gehoben, die genutzte Datenmenge um ein Vielfaches größer.

Druckraster mit Linien und Punkten

Mit dem Titel seines Buches, das 1981 in der Edition Suhrkamp erschien, spielt Thomas Bayrle (geb. 1937) auf die damaligen Diskussionen an. Der Begriff "Raster" bezieht sich aber auch auf die für den Druck in verschiedenen Mustern genutzten Linien und Punkte, die dann bei Betrachtung aus dem geeigneten Abstand den Eindruck einer realistischen, bildlichen Darstellung ergeben. Bayrle spielt in den grafischen Darstellungen im Buch mit Abbildungsmaßstäben. So rückt er zum Beispiel einem Bild immer näher, so dass nach kurzem das Raster, aus dem sich der bildliche Eindruck ergibt, deutlich sichtbar und damit das eigentlich abgebildete Objekt oder die gedruckte Schrift zum Verschwinden gebracht wird. Sowohl das Herein- als auch das Hinauszoomen sind Vorgehensweisen, die Bayrle auf den Seiten dieses Buches häufig gebraucht. So erweist sich eine Menge kleiner Quadrate beim Heranzoomen als ein vervielfachter Ausschnitt einer Zeitungsseite mit Inseraten. Beim Näherrücken bleibt aber nicht dieser Ausschnitt im normalen Abbildungsmaßstab als Endpunkt der Sequenz stehen, sondern wird immer weiter vergrößert, bis drei Doppelseiten später das ins Visier genommene Feuerzeug zum Hochhaus mutiert. Anschließend wird wieder ausgezoomt und die Grafik zeigt immer mehr von einer Bauklötzchen-Stadtlandschaft, bis sich das kleine, verbliebene dunkle Quadrat bei näherer Betrachtung in ein Kreuzworträtselgitter verwandelt.

Kaum Fotografien

Dabei sind zumeist gar nicht Fotografien das Ausgangsmaterial für die Illustrationen in diesem Künstlerbuch. Trotzdem ist es vielleicht nicht ganz abwegig, es hier als Buch der Woche vorzustellen. Die Vorgehensweisen wie das Spiel mit dem Abbildungsmaßstab, das Heran- und Hinauszoomen haben ja fotografische und filmische Entsprechungen.

Nicht einfach zu beschreiben, was sich auf den Seiten dieses Buches abspielt. Einen kleinen Eindruck gibt die Schrift auf dem Einband des Taschenbuches, der durch den Suhrkamp-typischen gestalteten Schutzumschlag zunächst verborgen bleibt. Je nach Betrachtungsabstand kann der Leser die Schrift leicht entziffern oder sie löst sich in ein abstaktes Punktemuster auf.

Einband Vorderseite

 

Detail Einband Vorderseite

 

Es kann von Zeit zu Zeit ganz nützlich sein, sich zu vergegenwärtigen, dass was da auf den Seiten von gedruckten Fotobüchern vorliegt, eben nicht Fotografien und schon gar nicht die abgebildeten Gegenstände selber sind. Gerade weil man zugegebenermaßen so leicht schreibt: „Hier sieht man ein Autowrack“. Die Abbildung eines solchen findet sich auch in Rasterfahndung. Aber natürlich sieht man weder das durch einen Terrorakt (?) zerstörte Auto, noch die am Ort des Geschehens erstellte Fotografie, sondern Druckfarbe auf einer Papierseite. Bayrle erinnert einen in Rasterfahndung auf spielerische Weise daran, bringt die abgebildeten Dinge in den Fokus und wieder zum Verschwinden. Lässt den Betrachter im Rauschen der Punkte Schriften und Formen entdecken oder über deren Bedeutung und diversen Interpretationsmöglichkeiten rätseln.

Das Buch enthält neben einem Text des Herausgeber Klaus Gallwitz auch ein kurzes Statement von Thomas Bayrle selber. Darin schreibt er: "Zeitung, Gedrucktes  - ist eine Ansammlung von Milliarden Punkten und Strichen auf Papier. - Material, welches jeden Tag zu neuen Mustern zusammengetrieben wird. Dabei perpetuieren Punkte zu Gebirgen von "Schmidt-Mülldeponie-Krebs-Sadat-Haufen heute" und zu "Iran-Begin-Ajatolla-Haufen morgen." Das ließe sich heute genausogut auf Pixel und die Darstellung von "Obama-Royal Baby-Merkel-Haufen" beziehen. Folgerichtig nutzt Bayrle inzwischen auch Computer und ihre Programme zur Erstellung von Kunst.

Richard Benson: "The Printed Picture"

Richard Benson: The Printed Picture, New York 2009

 

Wem diese ganzen Überlegungen jetzt viel zu weit hergeholt waren, für den ist vielleicht der folgende Buchtipp passend. Auch in Richard Bensons Buch „The Printed Picture“ geht es um Raster und Druck. Es handelt sich um ein Begleitbuch zu einer Ausstellung des MOMA in New York, die sich der Technik und Geschichte von gedruckten Bildern widmete. Benson beschreibt recht übersichtlich die verschiedenen in Vergangenheit und Gegenwart genutzten Möglichkeiten Bilder gedruckt aufs Papier zu bekommen. Dabei legt er einen Schwerpunkt insbesondere auf die Reproduktion von Fotografien. So kann man zum einen etwas über die Geschichte des Drucks erfahren, lernt zugleich aber auch so manches, um die für die fotografischen Illustrationen in Büchern genutzten Techniken zu unterscheiden. Zahlreiche Illustrationen unterstützen Bensons Erklärungen und machen sein Buch zur durchaus kurzweiligen Lektüre. Problem ist natürlich, dass in diesem Buch nicht die verschiedenen Drucktechniken wirklich auf entsprechenden Papieren vorgeführt werden können. Immerhin können vergrößerte Reproduktionen von Originalbeispielen trotzdem eine ganze Menge zeigen, unter anderem die verwendeten Formen von Rastern für verschiedene Drucktechniken. Das sieht dann fast schon wieder aus, wie Ausschnitte aus Bayrles Buch.

 


 

Fakten:

 

Thomas Bayrle: „Rasterfahndung“, Frankfurt am Main, 1981
(Hrsg. von Klaus Gallwitz)
Edition Suhrkamp, Neue Folge Band 69
ISBN: 3-518-11069-1
182 Seiten, S/W- und Farbabbildungen, 17,5 cm x 10,5 cm
Taschenbuch mit Umschlag

 

Eintrag zu Thomas Bayrle bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Bayrle

 

Richard Benson: „The Printed Picture“, New York, 2009 (2. Auflage),
The Museum of Modern Art New York
ISBN: 978-0-87070-721-6
338 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 27 cm x 21 cm