Dayanita Singh: "Go away closer"
Der erste Raum dieser Ausstellung zum Werk von Dayanita Singh (geb. 1961) kommt vergleichsweise konventionell daher. Es finden sich gerahmte Bilder an der Wand. Dazwischen sind mit Haken ein paar der Bücher der Fotografin aus den letzten 30 Jahren befestigt. Diese lassen sich so allerdings nicht durchblättern, sondern werden als unantastbare Kunstobjekte präsentiert. Je nach Besucherandrang in mehr oder weniger Ruhe anschauen und auch in die Hand nehmen lassen sich dafür die auf der Fensterbank befindlichen Buchexemplare, die einen vollständigen Überblick über die in Verlagen veröffentlichten Arbeiten der Fotografin geben. Wer sich den in „Clustern“ gehängten Bildern an der Wand genauer widmet, bemerkt, dass für die Ausstellung die Bilder teilweise neu gemischt wurden. Fotografien aus bestimmten (Buch)projekten tauchen in ganz neuen Zusammenhängen wieder auf.
Bookcarts und Museen
Dass Bücher für die Arbeit von Singh von zentraler Bedeutung sind, wird durch die „Bookcart“ genannten Holzblöcke auf Rädern deutlich, welche mit Büchern bestückt sind und zum Beispiel das im Steidl Verlag erschienene Buch „File Room“ in immer neuen Covervarianten zeigen. Da verändert sich sowohl die Farbe des Leineneinbands als auch das auf dem Einband montierte Bild. Innerhalb der Ausstellung leiten diese "Bookcarts" zum zentralen Raum der Ausstellung über, der die verschiedenen „Museen“ Singhs beherbergt. In dieser neuen Form der Präsentation ihrer Bilder ordnet Singh in immer wieder neuen Konstellationen ihre Prints in Holzrahmen an, die in einer Art von Regalen montiert sind. Auch hier wird deutlich, dass nicht das Einzelbild im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht, sondern die Korrespondenz zwischen den Bildern. Anders als im Buch, das einmal gedruckt auf die entsprechende Gestaltung festgelegt ist, lassen sich in einer solchen Konstruktion für Ausstellungen immer wieder neue Sinnzusammenhänge herstellen, einzelne Abzüge oder auch ganze Blöcke austauschen oder variieren. Ein bisschen wie die Arbeit eines Kurators in einem Museum mit eigenem Sammlungsbestand mag das anmuten, der Bilder aus dem Depot holt, um sie in einem bestimmten Zusammenhang zu zeigen, um sie dann wieder im Materiallager verschwinden zu lassen.
Dayanita Singhs Kassette mit sieben Leporellos, die, ebenfalls vom Steidl Verlag, unter dem Titel „Sent a letter“ verlegt wurde, findet sich als Verbindung zum dritten Ausstellungsraum auf einem Absatz an der Wand. Dort sind die Leporellos aufgefaltet und werden als veritable Ausstellungsobjekte präsentiert. Und auch hier gilt, dass manches der Bilder aus dieser Kassette in anderem Zusammenhang in der Ausstellung wieder zu finden ist. Das einzelne Bild ist für Dayanita Singh nur von untergeordneter Bedeutung. Vielleicht vergleichbar einem einzelnen Wort für einen Schriftsteller, der aus vielen davon seine Erzählungen baut.
Cover des Katalogs |
"Editing and Sequenzing"
In einem im Katalog zur Ausstellung abgedruckten Gespräch zwischen Stephanie Rosenthal und Dayanita Singh berichtet letztere immer wieder über ihr Vorgehen: “I am not interested in the complete picture that you can hold on to. I don't want to tell you the whole story because there is no complete story; the story keeps changing, so the same photograph here means something, but in another context mean something else.“ Als erstes ihrer Museen entwarf Singh passenderweise das „File Museum“, das auf ihre im Buch „File Room“ veröffentlichten Fotografien von Papierstapeln in Archiven und Museen zurückgeht. In der Hayward Gallery kann man jetzt Museen zu den Themen Little Ladies, Chance, Embraces, Furniture, Machines, Men und Photography sehen. Dayanita Singh fasst ihre Arbeitsweise sehr prägnant zusammen, wenn sie sagt: „The work is not about making photographs, it's about editing and sequencing“. Und das gilt für sowohl für Ihre Arbeit mit Büchern, als auch jetzt für die Museen. Das schließt aber nicht aus, dass sich jede Menge Fotografien in der Ausstellung finden, die auch für sich genommen schon hinreissend sind.
Der Besuch in der Ausstellung lässt sich verbinden mit einem Blick in die gleichzeitig gezeigte Retrospektive zum Werk der in Kuba geborenen Künstlerin Ana Mendieta (geb. 1948). Auch hier spielt Fotografie eine gewisse Rolle. Neben den Aufnahmen eher dokumentarischer Art, welche verschiedene Formen von Performances festhalten, gibt es auch frühe fotografische Arbeiten, die sich auf eindrucksvolle Weise mit dem eigenen Körper beschäftigen. Der Abstecher in diese Ausstellungsräume der Hayward Gallerie lohnt sich. Kostenlos ist der Zugang zu einer kleinen Ausstellung des Archives of Modern Conflict vor allem mit Plakaten, unter dem Thema „The Great Refusal. Protesting 1948-1984“. Auch der Blick in diese Ausstellungsräume sei ausdrücklich empfohlen.