Der Märchenbrunnen im Friedrichshain zu Berlin

"Der Märchenbrunnen im Friedrichshain zu Berlin", Berlin 1914

Ernst von Brauchitsch (1856-1932) war über viele Jahre als Architekturfotograf in Berlin tätig. Zwischen 1902 und 1912 dokumentierte er in elf Mappen, die unter dem Titel „Neubauten der Stadt Berlin“ zunächst im Verlag von Bruno Hessling, später dann bei Wasmuth erschienen, Bauten des Architekten Ludwig Hoffmann. Vorstellen will ich hier aber ein anderes seiner Mappenwerke, nämlich die Publikation zum Märchenbrunnen im Friedrichshain, der 1913 eingeweiht wurde und ebenfalls ein Werk des mit dem Fotografen befreundeten Architekten Hoffmann ist. Mit den Skulpturen für die Anlage waren die Bildhauer Ignatius Taschner, Georg Wrba und Josef Rauch beauftragt.

 

Lichtdrucke auf Karton

Die im Verlag für Kunstwissenschaft erschienene Leinenmappe enthält 50 auf dunkle Kartons aufgeklebte Lichtdrucke, die einzelne Elemente des Märchenbrunnens zeigen und quasi in Form eines Spaziergangs durch den Park angeordnet sind. Wobei das erste Bild einen (in einem Märchenbuch?) lesenden Jungen zeigt und im folgenden Bild ein Kind am Eingangstor des Parks steht. Der Rundgang endet schließlich im 50. Bild mit einem am Ausgangstor stehenden Schüler. Für den Überblick sorgen zwei Skizzen, welche den Grundriss der Anlage wiedergeben. Die meisten der Bilder zeigen architektonische Details oder einzelne der Skulpturen. Wer alle Bilder der Mappe anschauen möchte, findet diese als PDFs auf den Internetseiten des Architekturmuseums in Berlin.

 

Die auf die Kartons (41 cm x 32,5 cm) aufgeklebten Bilder variieren sowohl in ihren Größen (zwischen 26,5 cm x 19,5 cm und 13 cm x 15,5 cm) als auch im Wechsel zwischen Hoch- und Querformaten, wobei erstere überwiegen. Auf den dünnen weißen Umrandungen der Bilder sind neben dem Namen des Architekten in den meisten Fällen auch Bildtitel, die angeben, welches Brunnendetail gezeigt wird bzw. aus welchem Märchen die abgebildeten Figuren stammen, und der Name des jeweiligen Bildhauers genannt.

Nicht alle Lichtdrucke sind in der gleichen Farbe getönt. Es gibt Blätter, die eher bläuliche oder grünliche Farben zeigen, die meisten sind allerdings in ziemlich neutralem Grau gehalten. Eine zunächst vermutete Verbindung zu den Inhalten der Bilder konnte ich bei der Farbwahl nicht feststellen.

 

Kinder als Statisten

Es war und ist nicht unüblich auf Architekturfotografien auch Menschen abzubilden. Sei es um Größenverhältnisse zu verdeutlichen, sei es um die Szenerie etwas zu beleben. Ernst von Brauchitsch hat für seine Darstellung des Märchenbrunnens passenderweise Kinder in seine Bilder mit einbezogen. Deren Aufstellung wurde offensichtlich vom Fotografen inszeniert. Nicht zuletzt aufgrund der ziemlich langen Belichtungszeiten (vgl. die Aufnahmen mit fließendem Wasser oder auch Unschäfen in der Abbildung der Personen), die spontane Momentaufnahmen schwierig machten, wirken ihre Posen eher statisch. Trotzdem gehören die Bilder mit den durch die Tore blickenden oder die Brunnenfiguren betrachtenden Kindern zu den reizvollsten Aufnahmen der Mappe. Und mit ihren Hüten, Matrosenanzügen und Frisuren sorgen die Abgebildeten zudem für etwas Zeitkolorit.

 

Das Jahr 1914

Die Mappe selber enthält keine direkten Angaben zum Erscheinungsjahr. In mehreren Quellen wird allerdings 1914 als Jahr der Publikation genannt. Sie dürfte also vor genau 100 Jahren erschienen sein. Und in gewisser Weise werfen die Bilder des Parks mit den Kindern im Sonntagsstaat oder mit dem Schulranzen auf dem Rücken einen sehr beschaulichen Blick auf die Welt des damaligen Berliner Bürgertums. Max Osborn beendet seinen kurzen Einleitungstexte folgendermaßen: "Ein kunstgesegnetes Reich der Schönheit und Munterkeit, der träumerischen Unschuld und der wispernden Geheimnisse, die unserer Kindheit Phantasie lockend umschweben, hatte uns in seinen Bann gezogen und entläßt uns nun in die schweigende Ruhe des Parkes. Fern liegt die Stadt mit ihren Sorgen, ihrer Hast und ihrem Tageslärm ....". Leider überhaupt nicht mehr fern waren die Grausamkeiten des im gleichen Jahr beginnenden 1. Weltkriegs.

 

Weiterführende Literatur

Wer sich näher für Ernst von Brauchitsch und seine Zusammenarbeit mit dem Architekten Ludwig Hoffmann interessiert, dem sei, neben den bereits genannten Mappenwerken, das zum 100jährigen Jubiläum der Einweihung des Gebäudes des Märkischen Museums erschienene Buch „Gefühlte Geschichte. 100 Jahre Märkisches Museum“ empfohlen, das neben einem Übersichtsartikel des Herausgebers Kurt Winkler auch zahlreiche Seiten mit Bildern Ernst von Brauchitschs vor allem vom Inneren des Museums zeigt. Außerdem berichtet Ines Hahn unter dem Titel „Der Fotograf des Architekten. Die Bilder des Märkischen Museums von Ernst von Brauchitsch“ über einige Einzelheiten der Zusammenarbeit der beiden Freunde und liefert auf Grundlage der Dissertation von Miriam Paeslack auch biografische Daten zum Fotografen. Paeslacks Arbeit „Fotografie Berlin 1871-1914 : eine Untersuchung zum Darstellungswandel, den Medieneigenschaften, den Akteuren und Rezipienten von Stadtfotografie im Prozeß der Großstadtbildung“ lässt sich im Übrigen hier nachlesen.

 

Herzlicher Dank an Boris von Brauchitsch für die Unterstützung bei der Recherche zu diesem Text!

 

 

Fakten:
 
„Der Märchenbrunnen im Friedrichshain zu Berlin“, Berlin, o.J. (1914)
Verlag für Kunstwissenschaft
Leinenmappe mit 50 Kartons mit montierten Lichtdrucken + Textheft mit 8 Seiten, Außenmaße: 41,5 cm x 33,5 cm
 
 
Kurt Winkler (Hrsg.): Gefühlte Geschichte. 100 Jahre Märkisches Museum“, Berlin 2008
Verlag M – Stadtmuseum Berlin GmbH
ISBN 978-3-9812257-0-9
120 Seiten, 51 Abbildungen in S/W, 19,5 cm x 15 cm, Hardcover ohne SU
Reihe: Edition Stadtmuseum „Berliner Objekte“