Le voyage d'une main

Autor(en): 
Alain Fleischer: "Le voyage d'une main", 1998

Da ich mich gerade etwas näher mit dem Zusammenspiel von Fotografie, Film und Kino beschäftige, hier gleich noch mal eine Buchvorstellung, die in diesen Zusammenhang passt. Alain Fleischer (geb. 1944 in Paris) ist nicht nur durch seine Fotoarbeiten, sondern vor allem durch seine Filme und inzwischen auch als Schriftsteller bekannt. Sein Buch „Le voyage d'une main“ passt nicht nur aufgrund dieser multimedialen Betätigung seines Autors in mehrfacher Hinsicht in den Zusammenhang von Foto und Film. Denn es handelt sich um ein sogenanntes Flip-Book bzw. Daumenkino. Ein Buch also, dass einem bei schneller Durchsicht der Seiten, am besten durch das Abblättern mit dem Daumen, wie in einem Film, die Darstellung eines flüssigen Bewegungsablaufs durch die Bilder vorspiegelt.

 

Handschuh und Modellauto

 

Beim schnellen Ablauf der 74 Seiten erkennt der Betrachter ein Modellauto, das auf einer Mauer entlangfährt. Geschoben wird es von einer Hand. Zumindest ist das der erste Eindruck. Doch nach 42 Bildern wechselt der Antrieb anscheinend von der schiebenden Hand zum Auto selbst, das plötzlich einen offensichtlich leeren Handschuh mitzieht. Fotografiert hat Fleischer diese Sequenz im Park der Villa Medici in Rom. In der Villa Medici lebte er in den 1980er Jahren einige Zeit als Stipendiat und Preisträger des traditionsreichen "Prix de Rome".

Die Seiten des Buches haben links einen fast zwei Zentimeter breite weissen Rand, da dieser Teil der Seiten beim Ablaufenlassen mit dem Daumen, sowieso nicht sichtbar ist. Trotzdem lässt sich der Beginn des Daumenkinos nicht ganz so flüssig betrachten wie das Ende. Dafür lassen sich Anfang und Ende, wie beim Daumenkino üblich, leicht wechseln. Dann fährt das Auto mit dem Handschuh auf der Mauer plötzlich rückwärts.

 

© Alain Fleischer "Le voyage d'une main", Seite 2

© Alain Fleischer, "Le voyage d'une main", Seite 60

 

Obwohl der Inhalt der Bilder zunächst nicht sonderlich komplex erscheint, gibt es neben der Beobachtung mit dem oben beschriebenen Wechsel von der Hand zum leeren Handschuh eine weitere Auffälligkeit. Da die Kamera während der Autofahrt mitschwenkt, scheint es fast, als ob der Hintergrund laufend nach links weggezogen wird. Der Betrachter kann sich in gewisser Weise in seiner Beobachtung für die Bewegung des Hintergrunds oder die Fahrbewegung des Autos entscheiden. Man könnte von einem möglichen Perspektivwechsel sprechen, der im Belieben des Betrachters steht.

Erschienen ist dieses zur besseren Handhabung sehr kleinformatige Buch zu der Ausstellung Fleischers von 1998 im Centre d'art – Le Cédrac in Ivry-sur-Seine. In der Ausstellung unter dem Titel „Ecrans sensibles et flip-books“ waren weitere Flip-Books aus Fleischers Serie „Les jouets“ zu sehen. Unter dem Motto „nous sommes les jouets de nos jouets“ deutet Fleischer auch hier einen Perspektivwechsel an, der wohl auf die vorhandene oder eben auch nicht vorhandene Hand und damit das Vorhandensein oder die Abwesenheit eines menschlichen Urhebers für die Bewegung des Spielzeugautos hinweist. Wer spielt hier mit wem? Der Betrachter mit dem Buch oder das Buch mit dem Betrachter?

Die einzigen Texte des Buches befinden sich auf dem Cover und den Innenseiten des Einbands. Das ist beim Daumenkino so üblich, es sei denn typografische Elemente sind in den Bewegungsablauf mit eingebaut. Es zeigt damit aber auch die enge Verwandtschaft zum Film: Titelsequenz und Abspann versorgen hier wie dort den Betrachter mit mehr oder weniger wichtigen Informationen. Der Rest sind Bilder pur. Nicht das schlechteste Rezept für ein Fotobuch.

 

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Vielleicht klingt das in meiner Beschreibung jetzt alles viel zu theoretisch und kompliziert. Eigentlich steht natürlich, wie bei fast allen Daumenkinos, der Spass und das Spielerische im Vordergrund. Ein paar Beispiele für weitere solcher Bücher habe ich in den unten angefügten Bilddateien abgebildet. Und wer Lust hat, sich mehr mit solchen Daumenkinos zu befassen, dem sei der Katalog einer Ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf von 2005 empfohlen (Daniel Gethmann (Hrsg.): „The Flipbook Show – Daumenkino“, Köln, 2005, Snoeck Verlagsgesellschaft). Aber natürlich lassen sich auch jede Menge interessante Seiten im Internet finden. Genannt sei nur  www.daumenkinographie.de von Volker Gerling. Viel Vergnügen beim Schauen!

 

 


 

 

Fakten:

 

Alain Fleischer: „Le voyage d'une main“, 1998, o.O

Centre d'art - Le Crédac

ISBN: 2-907643-81-9

74 einseitig bedruckte Seiten, 74 farbige Abbildungen, 5 cm x 10 cm

limitierte und nummerierte Auflage von 1000 Exemplaren