Orange Elephant
Autor(en):
Einiges an dem neuen Buch „Orange Elephant“ von Hideka Tonomura kommt einem bekannt vor, sofern einem ihre früheren Publikationen präsent sind. Orange-rot sind dieses mal nicht nur viele der Bilder, sondern auch manche der zahlreichen Zwischenseiten. Wobei ich mir schließlich irgendwann beim Betrachten dieser Seiten nicht mehr sicher war, ob es sich wirklich noch um eine reine Farbfläche oder doch um Bilder mit Strukturen handelt. Es tauchen in diesem orangenen Ambiente aber auch Bilder mit kühlen grünen oder blauen Farben auf. Und im Mittelteil des Buches steht eine Abfolge von nächtlichen Schwarz-Weiß-Fotografien. Diese Sequenz wird eröffnet mit dem auf dem Cover abgebildeten Foto.
Wie bei den anderen Büchern Hideka Tonomuras auch, fällt es mir nicht leicht, wirklich zu schildern, was ich da sehe. Sehr schnell geht es nicht mehr um ein Erkennen der Gegenstände, Personen oder Formen im Bild, sondern es bleibt eine weitgehend emotionale Reaktion auf die Farben und vermeintlichen Inhalte, die vielleicht aber nur aus meinem eigenen Kopf stammen. Zerwühlte oder auch ordentlich gemachte Betten sind auf alle Fälle zu sehen, aber was verbinde ich persönlich damit?
Das Buch startet, noch vor der Titelseite, mit dem Bild einer älteren Frau, die gemütlich zuhause unter einem breit gerahmten Bild auf einem Sofa zu sitzen scheint. Aber beim zweiten Lesen des Buches kommen Zweifel: Ist das nicht doch eher der Wartebereich auf dem Gang eines Pflegeheims mit zusammengeschobenen Sesseln? Die grüne Farbe und der Lichtbogen am unteren Rand machen das Ganze nicht weniger geheimnisvoll. Und schon ist mir der beruhigende Boden der vertrauten Gewissheiten entzogen.
Kurz vor Ende des Buches gibt es ein weiteres solch grünfarbiges Bild mit einer ganz ähnlichen Lichtspur. Aber diesmal liegt eine Person vom Betrachter abgewandt in einem Pflegebett. Ich bin mir sicher, dass der Tod eine nicht unerhebliche Rolle in diesem Buch spielt. Hier ist er, nicht ganz unvermittelt, enorm präsent. Und vielleicht geht es sogar darum, was danach stehen könnte. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich jedenfalls bei manchen der Bilder an Henrik Malmströms letztes Bild aus seinem Buch „On Borrowed Time“ erinnert. Geschildert wird das Überschreiten einer Schwelle in unbekanntes Gebiet. Oder doch ins Nichts.
Oft bin ich mir nicht sicher, ob ich mich hier in einem Albtraum befinde oder ob die nächtlichen Lichter und Schatten sogar tröstlich sind. Es gibt vieleTüren und Fenster, manche scheinen sich zu öffnen. Was dahinter liegt, bleibt unklar, bis am Ende des Buches weiße Seiten und ein blauer Wolkenhimmel den Schlussakzent setzen. „I have been waiting for a beautiful tomorrow“, das ist der Text, den Hideka Tonomura ihrem Buch mit auf den Weg gibt. Für dieses schöne Morgen könnte das Schlussbild stehen. Aber wieder bin ich mir unsicher, ob da nicht doch eine Bedrohung lauert. Das Blau des Himmels und der mit ihm zerfließenden Wolken ist im linken oberen Eck ziemlich dunkel.
PS Vorsorglich möchte ich Hideka Tonomura hier um Entschuldigung bitten, falls ich in meinem Text jetzt einiges total verdreht habe. Vielleicht, oder sogar wahrscheinlich, haben meine Gedanken gar nichts mit ihren Gedanken beim Fotografieren und dem Gestalten ihres Buches zu tun. Aber das ist ja die große Freiheit, die einem so viele der wirklich guten Fotobücher lassen. Fakt ist, dass diese Fotografien in ihrer Abfolge etwas in mir ansprechen, mich auf sehr intensive Weise, in einer Art Sog in eine fremde und doch wieder sehr vertraute Welt hineinziehen. Danke!
Fakten:
Hideka Tonomura: „Orange Elephant“, Tokio 2015
Zen Foto Gallery
ISBN 978-4-905453-38-3
72 Seiten, 44 Abbildungen, 18 cm x 26,5 cm, fotoillustriertes Hardcover
Edited by Hideka Tonomura, Amanda Lo; Art Direction: Hideki Nakajima; Assistant Designer: Hiroki Kanda
Auflage von 700 Exemplaren
Website der ZEN Foto Gallery mit Informationen zur gleichnamigen Ausstellung
Submitted by Hermann Lohss on 23. March 2016 - 22:55