Caribia
Günter Metken beschreibt u.a. in der Publikation „Herbert List. Photographies 1930 – 1960“ (Ausstellungskatalog zu einer Schau im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, 1983 bei Schirmer/Mosel in München erschienen), dass der Fotograf bei seiner Arbeit für die Veröffentlichungen zu Rom, Neapel und der Karibik mit seinen Gedanken woanders gewesen sei. Laut Insert auf der Rückseite des Titelblatts entstand der Band mit Bildern von Haiti, Martinique, Trinidad und Jamaika auf Anregung und unter Mitwirkung einer Hamburger Reederei. Mithin handelt es sich also um eine Art von Auftragsarbeit.
Und Herbert List (1903-1975) fährt die Ansprüche an sein Buch „Caribia“ im kurzen Einleitungstext auch selber herunter: „Dieses Buch will nicht mehr sein, als sein Untertitel besagt: ein photographisches Skizzenbuch“. Trotzdem kann es sich lohnen, einen Blick auf dieses Buch zu werfen. Und das nicht nur wegen des Schutzumschlags, der mich von vornherein für das Buch einnimmt. Der Umschlagentwurf stammt von Jo von Kalckreuth (1912-1984), der neben seiner Arbeit als Maler, auch fotografisch tätig war: 1961 erschien im Münchner Prestel Verlag sein Buch „Die Isar“.
Umschlag mit Vorder- und Rückseite |
Menschen
Was Herbert List in „Caribia“ vor allem zeigt sind Menschen: bei der Arbeit, während der Freizeit, bei religiösen Zeremonien, in und vor den Bars, unterwegs auf der Straße (oft beim Transport von Lasten auf dem Kopf) und zuhause. Der Fotograf klappert also nicht touristisch geprägte Schauplätze ab. Die so pittoreske, koloniale Architektur scheint ihn ebenfalls nicht sehr interessiert zu haben. Die Landschaft, insbesondere das Meer und wucherndes Grün, spielt eine gewisse Rolle, aber auch hier sind eigentlich immer Personen mit auf den Bildern zu sehen. Immer wieder fallen Reaktionen der Fotografierten auf, welche den Fotografen bemerkt haben. Das kann ein Lächeln einer bei der Arbeit beobachteten Frau sein, das Hervorschauen von zwei Kindergesichtern hinter einem Türrahmen oder die vors Gesicht gehaltene Hand eines Mannes.
Leinen-Cover |
Auch in seinem Text macht List einige Bemerkungen zur Situation des Fotografiertwerdens für die Einheimischen. Aus heutiger Sicht mag manches davon ein wenig paternalistisch klingen. Wobei seine Anmerkungen zur Situation während Sklaverei und Kolonialisierung und die andauernden Folgen durchaus engagiert sind. Zeittypisch benutzt List dabei das Wort „Neger“, das derzeit in seiner Weiterverwendung in Neuauflagen älterer Kinderliteratur ja viel diskutiert wird. Eine Fotografie, die laut Bildkommentar (eine ausklappbare Seite im Anhang enthält kurze Bemerkungen zu den einzelnen Fotografien) den „Lehrer einer katholischen Missionsschule mit seinen Zöglingen“ zeigt, steht vielleicht symbolhaft für die Frage, inwieweit der koloniale Blick auch in diesem Buch fortgesetzt wird. Durch den Lehrer, den Fotografen und schließlich auch den Betrachter des Buches.
Heft der Zeitschrift DU: "Antillia"
Fast zeitgleich mit dem Buch erschien auch ein Heft der Zeitschrift DU unter dem Titel „Antillia“ mit den Fotografien Lists. In größerem Format gedruckt, u.a. mit zwei ausklappbaren Bildseiten und vier Farbaufnahmen ergänzt, werden die ausgewählten Fotografien (nur ungefähr ein Drittel der im Buch gezeigten) hier großzügiger präsentiert. Im Vergleich lassen sich da einige ganz interessante Beobachtungen in Bezug auf das Layout machen, u.a. sind einzelne Fotografien gekontert abgedruckt. Welche Publikation die Originalversion enthält, lässt sich für mich allerdings nicht entscheiden. Versehen ist das Heft mit Texten von u.a. Hugo Loetscher, Herbert List, Janheinz Jahn und Aimé Césaire. Selbst ein paar kulinarische Bemerkungen von Helen Lüscher zur Küche der Inseln und Rezepte lassen sich da finden.
Heft der Zeitschrift DU vom September 1958 |
Aber zurück zum Buch: Ein großes Meisterwerk ist Caribia vielleicht nicht. Einzelne Bilder beweisen aber erstaunliche Qualitäten. Einen wirklich durchgehaltenen Spannungsbogen über mehrere Seiten oder gar das ganze Buch hinweg, kann ich nicht entdecken. Wenn man den Textabschnitt zur Pocomania-Zeremonie gelesen hat, lassen einen die 10 Bilder dazu, welche die letzte Sequenz des Buches bilden, erstaunlich kalt. Aber das klingt jetzt schon zu negativ, denn ich meine doch etwas von dem zu sehen, was List so beschreibt: „Die Freude am Wahrgenommenen hat mich geleitet. So wurde es eine sehr persönliche Schau.“
Fakten:
Herbert List: „Caribia. Ein photographisches Skizzenbuch von den Caribischen Inseln“, Hamburg, 1958
Rowohlt Verlag
116 Seiten, 96 S/W-Abbildungen, 25,5 cm x 21,5 cm
DU-Heft vom September 1958: „Antillia", Zürich, 1958
Verlag Conzett & Huber
86 Seiten, 4 Farb- und 28 S/W-Aufnahmen im Hauptbericht, 32,5 cm x 24,5 cm