Kleines Erdenglück. Ein Kinderbuch für Erwachsene
Wer deutsche Spielfilme aus der Zeit des Nationalsozialismus im heutigen Fernsehprogramm anschaut, mag sich manchmal immer noch wundern, wie wenig sich auf den ersten Blick die damaligen Zeitumstände in diesen wiederspiegeln. Aber natürlich ist längst schon in zahlreichen Veröffentlichungen auf die Entlastungsfunktion der vielen Komödien und Revuefilme, gerade während der Kriegsjahre, hingewiesen worden.
Etwas Vergleichbares lässt sich auch im Bereich von Fotobüchern beobachten. Da werden idyllische Landschaften und malerische Bilder unzerstörter heimatlicher Städte in speziellen Buchausgaben für die an der Front kämpfenden Soldaten herausgegeben. Oder man freut sich, wie im vorliegenden Buch, über die glücklich aufwachsenden, munteren und gesunden Kinder. Dass derweil ein ganzer Teil der Welt in Schutt und Asche gebombt wird, scheint für das heimische Idyll, in dem neben den Kindern vor allem die Mütter präsent sind, keine Rolle zu spielen. Erschienen ist das Buch im Jahr 1942.
Rückseite des Schutzumschlags |
Einmal ist in den begleitenden Versen, die von Joachim H. Wohl stammen, dann doch von einer Schlacht die Rede: „Doch, Freund, halt ein! - Genug für heute! / Denn bei noch größrem Appetit, / da kämen die Reichsnährstandsleute / mit der Erzeugungsschlacht kaum mit!“ Diese Verse begleiten die drei Bilder eines Butterbrot mampfenden, blonden Buben. Nicht ganz zufällig dürfte es übrigens sein, dass so viele der porträtierten Kinder dem damaligen Ideal entsprechend blond sind.
Familienidylle im Krieg
Neben all den Kinderbildern mit Teddybären, blühenden Wiesen und den Spielen am Strand und im Garten, gibt es dann doch ein Bild, dass bei genauerer Betrachtung über die Idylle der im Wohnzimmer versammelten Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern hinausgeht. Alle vier sitzen am Couchtisch über eine Karte gebeugt. Zwei Modelle eines Flugzeugs und einer Kanone flankieren die ausgebreitete Karte, auf der wahrscheinlich gerade mit konzentriertem Interesse die neuesten Frontverläufe nachvollzogen werden.
Rolf d'Alquen (1912-1993) steuerte neben der Auswahl der Bilder auch ein Vorwort zur Publikation bei. Er schildert darin seine Intention als Herausgeber wie folgt: „Die Bilder dieses Buches, sorgfältig ausgewählt, sollen einen kleinen Ausschnitt vermitteln aus der Welt des Kindes, einer Welt, die auch ihre Sorgen und Feiern, ihre Höhen und Tiefen kennt, und die sich bis in die feinsten und zartesten Regungen im Gesicht des Kindes, seinen Händen und Bewegungen spiegelt, klar, eindrucksvoll, lebendig und plastisch, ja, oft ergreifend und rührend.“
Vorderseite, kartonierter Einband |
Neben den abgebildeten Fotografien und den gereimten Versen vervollständigen gezeichnete Vignetten von Eva Schwimmer den Band. Diese nehmen immer wieder Motive der Fotografien auf, kommentieren diese teilweise auch. Sie gehen aber auf manchen der Doppelseiten schon alleine aufgrund ihres kleinen Abbildungsmaßstabs ein bisschen unter.
Beiträge zahlreicher FotografInnen
Viele der im Buch abgedruckten Fotografien haben eine durchaus beachtliche Qualität und geben wirklich etwas von der angestrebten "Lebendigkeit" wieder. Meist nehmen die Abbildungen jeweils eine ganze Seite ein, auch wenn die Formate und damit die Breite der unteren oder oberen weißen Ränder sich unterscheiden. Drei Seiten zeigen aber auch kleine Serien von Aufnahmen (vier bzw. neun Abbildungen), welche die schnelle Wandlung von Gesichtsausdrücken der porträtierten Kinder wiedergeben. Außerdem gibt es kleine Bildgeschichten, die über mehrere Seiten erzählt werden. Insofern handelt es sich nicht um ein Sammelsurium von Einzelaufnahmen, sondern es ist deutlich, dass ein Erzählrhythmus angestrebt wird. Auf der rückwärtigen Titelseite werden die vielen beteiligten FotografInnen aufgeführt, darunter auch einige bekannte Namen wie Ruth Hallensleben, Benno Wundshammer, Paul Wolff, Otto Croy oder Elisabeth Hase.
Rolf d'Alquens Vorwort endet mit den Worten: „Und das Nachwort? Nun, es sei das selige Lächeln deiner eigenen Kinder.“ So manches Kind wird das Kriegsende nicht mehr erlebt haben.
Fakten:
Rolf d'Alquen : „Kleines Erdenglück. Ein Kinderbuch für Erwachsene“, Bayreuth, 1942
Gauverlag Bayerische Ostmark
80 Seiten, 88 S/W Abbildungen, 30 cm x 22 cm,
kartoniert mit fotoillustriertem Schutzumschlag
Erstauflage von 10.000 Exemplaren
Aufstellung der beteiligten FotografInnen:
Erich Balg, Berlin; A. Bankhardt, Berlin; Paul Beuttner, Reutlingen; Bilderdienst Bittner, Berlin; Braun (Randophot); Dr. Croy, Berlin; W. Debus, Düsseldorf; Harry Evers, Berlin; Enno Folkerts, München; Freytag (Randophot); F. Hallegger (Tschira); Ruth Hallensleben, Köln; Hannemann (Randophot); Elisabeht Hase, Frankfurt a. Main; Heno (Mauritius); Jehne (Randophot); Kurt Kloeppel, Berlin; Ko.L. (Mauritius); Mauritius, Berlin; Foto-Mitscherick, Luckenwalde; W.K. Müller, Bochum; Münchener Bildbericht; Friedrich Muschick, Meißen; Doris Paschke (Tschira); Erich Retzlaff, Düsseldorf; Erika Schmauß, München; Ernst Schneider, Berlin; A. Schneider, Leipzig; Joachim Senckpiehl, Landsberg; Georg Seuling, Düsseldorf; Alwin Tölle, Eggersdorf; A. Tölle (Randophot); Hanns Tschira, Berlin; Foto Fritz Weckener, Bremen; Dr. H. Weskamp, Berlin; Dr. Paul Wolff, Frankfurt a. Main; Benno Wundshammer, Berlin