The Look of Sound oder Wenn Kunst Erkenntnis schafft
Die gegenwärtige Ausstellung „The Look of Sound“ ist eine Zeitreise durch die Geschichte der Rock- und Pop-Kultur der 1960er bis 1980er Jahre, wie man sie bisher noch nie erlebt hat. Rund 170 großartige Schwarz-Weiss-Fotografien von Musiklegenden des Rock, Pop und Soul als auch von berühmten Persönlichkeiten des Kulturlebens, sowie einige seltene grafische Entwürfe und Collagen für Plattencover als auch eine Zusammenstellung tatsächlich produzierter Album-Cover sind noch bis zum 01.03.2015 im Zephyr-Raum für Fotografie in Mannheim zu bewundern. Der amerikanische Fotograf Norman Seeff gehört schon längst zu den ganz Großen in der Fotografenszene weltweit. Was seine künstlerische Arbeit so besonders macht, spiegelt sich unmittelbar im Endergebnis seines Arbeitsprozesses wider: Seine Fotografien sind intensiv, wirken spontan und gewähren erstaunlich persönliche Einblicke in das Innenleben der porträtierten Persönlichkeiten. Sie sind nicht nur unmittelbare Fotografien des berühmten besonderen Moments, sondern sind gleichfalls Artefakte der damaligen Zeit. So erzählt jedes der Porträts eine einmalige Geschichte, wie es auch zu jedem Porträt eine spannende Geschichte der Entstehung gibt, so Norman Seeff. Um dies zu verdeutlichen und dem Besucher näher zu bringen, gibt es die Möglichkeit, einige Ausschnitte seiner berühmten Fotosessions auf Monitoren zu verfolgen. Als ergänzende Informationsquelle dient das sorgfältig konzipierte Handbuch zur Ausstellung mit den jeweils wichtigsten Informationen zum Künstler, zur Popgeschichte und den fotografierten Persönlichkeiten. Und selbstverständlich muss an dieser Stelle der im Kehrer-Verlag erschienene Künstlerkatalog erwähnt werden: Nicht nur für Rockmusik-, Fotografie- oder Fotobuch-Liebhaber stellt er eine ganz individuelle Zeitreise durch die damalige Künstler- und Musikszene im Buchformat dar.
Detail der Ausstellung Foto: Izabela Koth |
Der Weg zur Selbstverwirklichung: eine Mutprobe
Der im Jahr 1939 in Südafrika geborene Fotograf wurde mit nicht wenigen Talenten gesegnet. Im Alter von nur 6 Jahren zum Beispiel fertigte er detailgetreue und anatomisch korrekte Zeichnungen von Menschen an und konnte daraufhin die bewundernden Reaktionen seines Umfelds nicht richtig einordnen. Er erinnert sich: „Ich dachte damals, dass etwas mit mir nicht stimmte, da ich der einzige war, der das konnte.“ Seine Zweifel wurden von der aufkeimenden Leidenschaft für die Kunst, die ihn von da an in seinem Leben begleitete, abgelöst. Aus der Motivation heraus, Gutes für den Menschen zu erzielen, in einem nicht nur metaphorischen Sinne „ein Stück weit Heilung zu bewirken“, entschied er sich, Arzt zu werden. Doch nach drei Jahren im Berufsleben beschloss er, aufgrund der damaligen politisch explosionsgeladenen Zeit der Apartheid, in die er mit seinem Wirken unmittelbar verwoben war, sein Leben zu ändern und einen Neuanfang zu wagen. Mit einem Portfolio von einigen wenigen Fotografien mit Porträts seiner Freunde unter dem Arm, trat er im Jahre 1968 seine Ausreise Richtung New York an, wo er versuchte, sich als Fotograf durchzuschlagen. Er fotografierte interessant ausschauende Menschen, anfangs an jedem Ort, an dem er sie antraf. Doch nach einiger Zeit genügte ihm das nicht mehr und er wagte sich auf neues Terrain. Schnell stellte er fest, dass ihm die Beziehung zum Porträtierten sehr wichtig erschien und so sorgte er stets dafür, dass sich seine Modelle bei der Arbeit wohl fühlten. Denn nur dann wirkten sie losgelöst und entspannt, was sich auch in den Fotografien widerspiegelte. Somit begann er, sofern sich die Gelegenheit ergab, seine Modelle in ihrer unmittelbaren Umgebung abzulichten, an ihrem Wohnort, in ihrem Zuhause, in ganz privaten Momenten. „ Aus diesem Grunde ist eine Abteilung der Ausstellung den so genannten „on location“-Bildern gewidmet, die seltene Einblicke hinter die Kulissen gewähren.“ (Handbuch zur Ausstellung, S.5) Durch die Fotografie schloss er neue Bekanntschaften und lernte neue Orte kennen. Ein Schlüsselmoment im damaligen Leben war das Zusammentreffen mit seinem späteren Mentor Bob Cato, der nach kurzer Durchsicht seiner Portfolio-Mappe mit einer Träne der Rührung im Auge kommentierte:“ Ich sehe Hunderte von Menschen, aber da ist etwas sehr Wahres und sehr Authentisches in deinen Arbeiten zu erkennen.“ An diesen Moment erinnert sich Seeff genau: „Etwas in meinem Inneren sagte: „Vielleicht ist es doch nicht ganz falsch, was ich tue.“ Von da an ließ die Erfolgssträhne nicht lange auf sich warten, denn bereits der erste Auftrag bedeutete seinen Durchbruch: Seine Fotografie der Gruppe „The Band“ für das Star-Album „Stage Fright“ wurde als der LP beiliegendes Poster produziert, erstmalig in der Geschichte der LP-Gestaltung. Es hing bald darauf in unzähligen Lokalen an der Wand und wurde irgendwann zum begehrten Sammlerstück. Dank seines Mentors gelang es ihm im Jahr 1972 Artdirector sowohl des Plattenlabels United Artists Records als auch des Jazzlabels Blue Note zu werden. Schnell erlangte er einen hohen Bekanntheitsgrad in der Fotografenszene bis er schließlich nach wenigen Jahren sein eigenes Fotostudio auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles eröffnete.
Norman Seeff in der Ausstellung © rem, Foto: Carolin Breckle |
„Es war eine Art Fenster ins damalige kulturelle Milieu, durch das ich hineinfiel“
Was auf Anhieb in seinen Bildern auffällt, ist die völlige Unbeschwertheit und innere Losgelöstheit der Porträtierten. Während der spürbaren Situationsdynamik bei den Shootings zwischen Seeff und seinen Modellen kam es schon mal vor, dass der Fotograf vor dem Ablichten vergessen hatte, eines der im Bild sichtbaren technischen Hilfsmittel aus dem Weg zu räumen, verrät er. Doch ironischerweise wirken seine Bilder durch diese vermeintlichen Fehler nicht unprofessionell oder unvollendet. Vielmehr verstärken sie die Wirkung der Dargestellten und betonen die Prozesshaftigkeit der Bildentstehung. All die berühmten Persönlichkeiten wirken innerlich losgelöst, als hätten sie vergessen, dass sie im Moment fotografiert werden. Es sind die Spontanität und Authentizität, sowie die signalisierte Vertrautheit zwischen Fotograf und Modell, die den Fotografien in der Ausstellung eine Funken versprühende Lebendigkeit verleihen. Der Betrachter wird auf eine spannende Reise in die damalige Zeit eingeladen. „Dieses Lebensgefühl – das rebellische, coole, lässige, freie, verspielte, unaufgeräumte – ist in seinen Fotografien sicht- und spürbar.“ (Handbuch zur Ausstellung, S. 6). Norman Seeff selbst erinnert sich: „Ich dachte, ich fotografiere nur die Person, aber tatsächlich fotografierte ich das gesamte kulturelle Milieu dieser Zeit.“ Seine Shootings erhielten einen Happening-Charakter und zogen immer mehr Zuschauer ans Set. Das ist nicht verwunderlich, denn durch seine Gabe zum Fotografierten eine auf Vertrauen basierende Nähe zu schaffen, wurden die Stars zu singenden, tanzenden und sogar Lieder komponierenden Teilnehmern während ihres Arbeitsprozesses.
Norman Seeff in der Ausstellung © rem, Foto: Carolin Breckle |
Die Persönlichkeit steht im Vordergrund
Sein grundsätzliches Interesse galt dem Fotografierten als Mensch an sich, weniger dem Foto als Endprodukt seiner Arbeit. Er wollte das Land, in das er eingewandert ist, erforschen und entdecken, indem er Amerikaner traf und erfahren wollte, wie sie denken und wer sie sind. „Eines Nachts saß ich in der Bar mit einem Drink gleich neben Patti Smith und Robert Mapplethorpe. Ich wußte nicht, wer sie sind. Ich dachte mir nur: Das sind interessant ausschauende Personen. Dann fragte ich, ob ich sie fotografieren dürfte.“ Sie nahmen ihn mit in ihr Appartement und in ihrer Küche sind daraufhin Bilder ganz besonderer Art entstanden. Während er das Paar fotografierte, stellte er fest: „Als ich sah, mit wieviel Liebe sie ihn anschaute, wurde mir klar: Ich will nicht nur Bilder machen, sondern die Seele der Menschen festhalten und das Gefühl, das sie ausmacht.“ In seinem Bestreben danach, hat er es geschafft, die Distanz zwischen ihm als Fotografen und seinem Modell praktisch aufzuheben. „Ich musste vor allem lernen eine Umgebung zu schaffen, in der die Personen eine gleichberechtigte Interaktion fühlen und sich zutrauen, sie selbst zu sein.“ so Seeff. Denn eine ehrliche und gefühlvolle Beziehung erzeugt Sicherheit und Intimität. Als er eines Tages feststellte, dass sich seine Kreativität weiterentwickelt hatte, nahm er zur Shooting-Session mit Ike und Tina Turner im Jahr 1975 eine Filmcrew mit. Seeff konzentrierte sich ganz auf die Persönlichkeiten, lenkte sie von der Kamera ab und brachte sie zum Lachen, Singen und Tanzen ohne ihnen Anweisungen zu geben. Eine phantastische und wertvolle Erfahrung, die er seitdem nicht mehr missen wollte. Doch was so leicht aussah, war in Wirklichkeit harte Arbeit. Im Fokus seines Schaffens standen die Gespräche während der Shootings. Unter dem Titel: „The Session Project“ entstanden unzählige Mitschnitte, die einen intimen Einblick in die Arbeit des Fotografen gewähren und den Zuschauer daran teilhaben lassen.
Beziehung als Kunstform, bei der Emotionen als Treibstoff des kreativen Prozesses fungieren
„Wenn man einen Sinn für das Visuelle besitzt, was ich seit Kindertagen habe, ist es nicht schwer, ein visuell interessantes Bild zu schaffen.“ behauptet Norman Seeff. Er stellte irgendwann fest, dass er als Künstler Fotografien schaffen wollte, die Spontanität aufzeigten, die lebendig waren und die die Seele, den „inneren Kern“ einer Person berührten. Die essentielle Frage, die ihn beschäftigte, wechselte von: Wie werde ich zum guten Fotografen? zu: Wie arbeite ich unter dem Aspekt der Beziehung als Kunstform? Während seiner Arbeit fotografierte er und unterhielt sich gleichzeitig. Da die Künstler immer in einer Zeit, in der ihre Karriereskala die Spitze des Erfolges verzeichnete, zu ihm kamen, nahm er das als Anhangspunkt um die Unterhaltung sehr locker aber gezielt zu beginnen: „Lassen Sie uns über die momentane Situation bei Ihnen reden.“ Was er im Nachhinein feststellte: Sie waren alle immer inspiriert und immer an einem Hochpunkt ihrer Leidenschaft für die Kreativität. Unter dem Gesichtspunkt seines Erforschens der Kreativität mit Künstlern waren die Gespräche am Set immer eine äußerst interessante Angelegenheit. Ihn interessierte mehr, was in ihnen vorging als an was sie gerade arbeiteten. „Wie machen Sie das, was sie gerade machen?“ fragte er. Eine der interessantesten Dinge, die er während der Arbeit mit den erfolgreichen Spitzenkünstlern herausfand, war die Tatsache, dass sie nicht ohne Grund derartig erfolgreich waren. Sie wiesen eine starke Disziplin auf und waren sehr fokussiert. Sobald man die Arbeit mit ihnen begann, konnten sie ihre volle Aufmerksamkeit auf den gegebenen Augenblick lenken und waren mit hundertprozentiger Energie dabei.
Norman Seeff in der Ausstellung © rem, Foto: Carolin Breckle |
Aus seiner jahrelangen Erforschung der Kreativität zieht Norman Seeff die Erkenntnis, dass Emotionen den Treibstoff für den Prozess der Kreativität darstellen. Hat ein Mensch keine direkte Verbindung zu seinen Emotionen, so kann seine Kreativität auch nicht andere Menschen emotional berühren. Wie stellt man eine Verbindung zwischen sich selbst und einer anderen Personen her? Indem man sich mit dieser Person emotional verbindet. Das gelingt jedoch nur, wenn man selbst bereit ist, Emotionen zu empfinden, wenn man bereit ist, sich verwundbar zu geben und (im Moment) Emotionen auszudrücken. Der Fotograf stellt hierbei oft genug fest, dass sobald man beginnt, das Modell zu bestimmen, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, die Person defensiv wird und im Gegenzug selbst kontrolliert. Somit musste er derjenige sein, der aus der bestimmenden Situation abtritt und der sich als erster emotional und verletzlich zeigt. „Haben sie erst einmal losgelassen und ließen sich emotional auf mich ein, so war das eine wahrhaftig wertvolle Erfahrung.“ betont er. Die Fotosessions wurden für Seeff zur Multiplattform der Erfahrung. Er ist nun Fotograf und Filmemacher. „Doch in Wirklichkeit bin ich ein Erforscher des kreativen Prozesses und zwar von innen heraus.“
Norman Seeffs Fotografien sind besonders, denn sie repräsentieren all die Kreativität, die in den gesamten Prozess eingeflossen ist. Man kann tatsächlich die Tiefe der Emotion und die gefühlte Intimität zwischen Fotograf und Modell sehen. „Rockmusik war die neue Religion und ich kreierte die Andachtsbilder “ sagt er über die damalige Zeit. Wenn es so ist, so hat er es geschafft, die Aura der Unerreichbarkeit der Stars zu durchdringen und ihr wahres Wesen im Bild festzuhalten: Es ist ihr authentisches Selbst. Ein Selbst, welches jeder in sich wiederfindet.
Text von Izabela Koth |
Fakten:
Ausstellung "The Look of Sound" von Norman Seeff im Zephyr - Raum für Fotografie / REM in Mannheim vom 28.09.2014 bis zum 25.01.2015, Ausstellungsdauer verlängert bis zum 01.03.2015!
Buch:
Norman Seeff: "The Look of Sound", Heidelberg 2014
Kehrer Verlag
ISBN 978-3-86828-532-1