SFMOMA : "Rineke Dijkstra : A Retrospective"
Große und sehr große Formate haben schon seit geraumer Zeit auch im Bereich der Fotografie Einzug in den Kunstmarkt und die Museen gehalten. Bücher sind oft mit einer adäquaten Darstellung solcher Werke überfordert. Die Porträts von Rineke Dijkstra sind ein Beispiel dafür, dass beides gleichzeitig funktionieren kann: die konzentrierte Abfolge der Abbildungen im Buch und die Originalprints mit einer Seitenlänge von mehr als einem Meter an der Wand der Galerie oder des Museums.
Die zur Zeit gezeigte Retrospektive im San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) versammelt fast 70 Arbeiten von Rineke Dijkstra. Und gleich am Beginn des Ausstellungsrundgangs hängen ihre vielleicht bekanntesten Werke: Aufnahmen von Jugendlichen in Badekleidung vor dem Hintergrund von Strand, Meer und Himmel. Das Buch mit den entsprechenende Fotografien dürfte vielen bekannt sein. „Beaches“ ist von Parr und Badger in den zweiten Band ihrer Geschichte des Fotobuchs aufgenommen worden. Vielleicht Beweis genug dafür, dass diese Bilder auch im Kleinformat funktionieren. Wenn man bei den Maßen dieses Buchs, immerhin 35 cm x 24 cm groß, überhaupt von Kleinformat sprechen kann.
Rineke Dijkstra, Kolobrzeg, Poland, July 26, 1992, 1992; chromogenic print; 66 1/8 in. x 55 11/16 in.; Courtesy the artist and Marian Goodman Gallery, New York & Paris; © Rineke Dijkstra |
Rineke Dijkstra, Long Island, N. Y., USA, July 1, 1993, 1993; chromogenic print; 66 1/8 in. x 55 11/16 in.; Courtesy the artist and Marian Goodman Gallery, New York & Paris; © Rineke Dijkstra |
Jetzt fast in Lebensgröße an der Wand ist die Wirkung der einem gegenüberstehenden Jugendlichen jedenfalls beachtlich. Neben der fast schon überwältigenden Präsenz der Bilder ergibt das aber auch die Möglichkeit, den Blick auf die kleinen Details zu lenken. Etwas was Rineke Dijkstra wichtig ist und was für ihre Entscheidung, solch große Formate für die Abzüge zu wählen, wohl auch mitentscheidend ist. Allzuviel vom Umfeld zeigt sie weder in diesen Porträts am Strand noch in den meisten ihrer anderen Arbeiten. Sie konfrontiert den Betrachter gezielt mit Personen, die nicht durch allzu viele äußere Umgebungsmerkmale bereits fest umrissen scheinen.
Schwebezustand
Dabei porträtiert die Fotografin auch in ihren anderen Arbeiten bevorzugt Jugendliche. Vielleicht, weil dass in gewisser Weise das Erreichen eines Schwebezustands erleichtert, der Gewissheiten für den Betrachter ein wenig erschwert. So wie vielleicht die Porträtierten ihrer selbst nicht ganz gewiss sind. Neben den beschriebenen Einzelporträts arbeitet sie in einigen Fällen auch mit Serien von Bildern, welche die gleiche Person über einen längeren Zeitraum beobachten. Ihre Porträts von Almerisa, als Kind auf der Flucht aus Bosnien in die Niederlande gekommen, oder auch die Fotografien von Olivier, einem Rekruten der Fremdenlegion, sind hierfür Beispiele. Ebenso wie die Bildpaare von Rekruten, portätiert zu Beginn und während ihrer Dienstzeit in der israelischen Armee. Diese Bildfolgen dienen der Darstellung von Transformations- und Entwicklungsprozessen, öffnen aber zugleich einen Raum zwischen den Bildern.
Rineke Dijkstra, Almerisa, Asylum Center Leiden, Leiden, the Netherlands, March 14, 1994, 1994; chromogenic print; 49 3/16 in. x 41 5/16 in. ; Courtesy the artist and Marian Goodman Gallery, New York & Paris; © Rineke Dijkstra |
Rineke Dijkstra, Almerisa, Zoetermeer, the Netherlands, June 19, 2008, 2008; chromogenic print; 49 3/16 in. x 41 5/16 in. ; Courtesy the artist and Marian Goodman Gallery, New York & Paris; © Rineke Dijkstra
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Die in der Ausstellung ebenfalls gezeigten Videoarbeiten waren mir im Gegensatz zu Dijkstras Fotografien bisher nicht bekannt. Meiner Meinung nach gehen sie auf dem Weg der Festlegung einen Schritt weiter als ihre Fotografien. Vielleicht hat das damit zu tun, dass von vornherein die Wiedergabe von Bewegung und Sprache im Video die Darstellung naturalistischer erscheinen lässt als das abstraktere Still. Die Auftritte von einzelnen, vor der Kamera tanzenden Discobesuchern haben dazuhin fast schon den Charakter einer Performance. Der auch in den Porträtfotografien angelegte Raum für die Selbstdarstellung der Porträtierten wird in diesen Videos offensichtlicher. Auch das Video, das Kinder und Jugendliche dabei zeigt, wie sie gemeinsam über ein Bild Picassos diskutieren, lässt das spüren. Bei aller Faszination, die diese Videos ausüben, sind für mich die Fotografien der überzeugendere Teil von Dijkstras Werk. Aber vielleicht hat das auch nur mit meinem persönlichen Problem mit Videoinstallationen in Ausstellungen zu tun, die dem Betrachter einen gewissen Rhythmus der Betrachtung und eine Dauer des Verweilens vorzuschreiben scheinen.
Zu dieser derzeit im SFMOMA (später auch im Solomon R. Guggenheim Museum in New York) gezeigten Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der neben zahlreichen Abbildungen, die auch Videostills umfassen, Essays von Sandra Phillips und Jennifer Blessing enthält. Aber auch Gespräche mit der Fotografin und mit von ihr Porträtierten, sowie ein Ausstellungsverzeichnis und eine Bibliographie.
Fakten:
Ausstellung im San Francisco Museum of Modern Art „Rineke Dijkstra : A Retrospective“
Ausstellungsdauer vom 18.02.2012 bis zum 28.05.2012
Link zur Website des SFMOMA : http://www.sfmoma.org/exhib_events/exhibitions/438
Katalog :
Jennifer Blessing, Sandra Phillips : "Rineke Dijkstra : A Retrospective", New York, 2012
Guggenheim Museum Productions
ISBN : 0-89207-424-8
264 Seiten, 170 farbige Tafeln, 30 cm x 23 cm