Please buy my new song

Autor(en): 
Marco Jindrich : "Please buy my new song"

 

Auf fast allen Fotos in diesem Buch sind Menschen zu sehen. Aber es gibt ein zentrales Bild, die einzige doppelseitige Abbildung. Und die zeigt nur grauschwarze Schuttberge und die Silhouette einer Kirche am Horizont. Diese Aufnahme Jindrich Marcos stammt aus dem Jahr 1947. Und was man sieht, sind die Trümmer des Warschauer Ghettos. Wahrscheinlich sind die Bilder aus Warschau das dunkle Herz dieses Bildbands, der 1967 bei Artia in Prag erschienen ist.

 

Trümmerlandschaften 1945

 

Marco, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg als tschechischer Fotoreporter im Auftrag von Zeitungen und Zeitschriften Europa und Israel bereiste, zeigt beginnend mit Aufnahmen aus dem Berlin von 1945 zunächst die Trümmerlandschaften direkt nach diesem Krieg. Einem Krieg, der eben von Berlin seinen Ausgang nahm. Das steigert sich dann in die von fast totaler Vernichtung erzählenden Aufnahmen Warschaus. Aber das wäre Marco als Botschaft wohl zu dunkel und pessimistisch. Und so zeigt er zunehmend auch ein anderes Nachkriegseuropa. Bilder von Menschen auf Märkten und belebten Straßen, die zwar noch von den Zerstörungen sprechen, aber auch deutlich den  Lebenswillen der Überlebenden zeigen. Ein interessiert und zugleich skeptisch blickendes Mädchen auf einem Roller. Und auf der gegenüberliegenden Seite des Buchs ein Fotograf, der inmitten der umgebenden Trümmer zwei Soldaten vor einer mit einer bukolischen Szenerie bemalten Leinwand ablichtet.

Vielleicht steht dieses Bild, auch wenn die Szenerie letztlich eine Projektion in eine nicht wirklich reale "gute alte Zeit" darstellt, für den ersehnten Aufbruch in eine bessere Zukunft. So wie das auf dem Umschlag abgebildete, titelgebende Foto, das ausserdem programmatisch gegenüber der Titelseite vor Beginn des Bildteils steht. Da hält ein Bettler im Londoner Stadtteil Soho ein Schild mit der Bitte   „Please buy my new song“ den vorbeiziehenden Passanten entgegen. Eigentlich vielleicht sogar ein düsteres Bild, aber mit diesem Zeichen der Hoffnung auf Hilfe und Neues?

 

Israel 1948

 

Als so ein Zeichen, das nach all der Zerstörung wieder Hoffnung keimen lässt, sah Jindrich Marco wohl die Entwicklung in Pälastina / Israel. Sein Buch erzählt in den letzten 18 Bildern von der Auswanderung und dem Leben in diesem Land. Weitere seiner Bilder zu diesem Thema erschienen u.a. 1991 im Wiener Jentsch Verlag unter dem Titel "Israel 48". Die letzte Abbildung von "Please buy my new song" zeigt ein am Strand des Mittelmeers sitzendes Kind, eigentlich schon idyllisch genug für einen Urlaubskatalog. Ein wirklich starker Kontrapunkt zu den Bildern des zerstörten Warschauer Ghettos. Jindrich Marco ist mit "Please buy my new song" ein sehr vielschichtiges Buch gelungen, das sowohl als Dokument wie als persönliches Statement erstaunliche Kraft entfaltet. Die Qualität der einzelnen Fotografien trägt dazu bei, ebenso wie die ziemlich gelungene Gestaltung der Doppelseiten und der Abfolge der Bilder.

Der einzige Text des Buchs (neben dem Abbildungsverzeichnis) befindet sich auf den Umschlagklappen. Jindrich Marco bekennt sich in diesem kurzen Statement, das in englischer, deutscher und französischer Version abgedruckt ist, zu einer „humanistischen Fotografie“. Er sieht sich dabei selbst in einen Mainstream eingebettet, den er mit den Fotografien der nach dem Krieg neugegründeten Agentur Magnum und mit Steichens legendärer Ausstellung „The Family of Man“ benennt.  Dabei setzt er interessanterweise in der Einordnung seiner eigenen Fotografien dieses Buchs in den drei Sprachen unterschiedliche Akzente. Während es auf Englisch lapidar heisst: „The pictures you're going to see now are thus just history.“, wird der französische Text durch einen weiteren Satz ergänzt :“Mais c'est vraiment de l'histoire?“ Und im deutschen Text kommt ein weiterer Satz dazu, der vielleicht den optimistischen Schluss des Bildteils wieder in Frage stellt: „Ich fürchte, es kommt leider anders.“

 

Prag 1968

 

Auch seine persönliche Lebensgeschichte spricht dafür, dass er mit dieser letzten Einschätzung wohl recht hatte. Marco wurde kurz nach Veröffentlichung des hier beschriebenen Buchs ein Zeuge der gewaltsamen Niederschlagung des "Prager Frühlings" im Jahr 1968. Noch im gleichen Jahr erschien im Wiener Europa Verlag ein Buch unter dem Pseudonym Vaclav Svoboda, das seine Fotografien dieses Ereignisses zeigt. Erst 1990 konnte dann in dem Prager Verlag Mlada Fronta eine neue Ausgabe dieses Bandes erfolgen. Dieses Mal unter Nennung seines richtigen Namens. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

              

      

 

 

 


 

 

Fakten :

Jindrich Marco : "Please buy my new song", Prag, 1967

Artia

96 Seiten, 83  s/w Abbildungen, 30,5 cm x 26,5 cm, Leinen mit fotoillustriertem Original SU

 

Wer will kannn hier auf YouTube mit Joerg Colberg durchs Buch blättern und seinem Kommentar lauschen

 


 

Comments

Israel 48

 

Inzwischen liegt mir das Buch "Israel 48" vor.  Auch dort ist das Foto mit dem Kind am Strand des Mittelmeers als letztes Bild des Bandes gewählt. Dort mit dem expliziten Titel "Hoffnung für die Zukunft". Allerdings kann dieses Buch die Geschlossenheit von "Please buy my new song" trotz des durchaus interessanten Themas nicht annähernd erreichen. Dazu ist auch die Qualität der Fotografien und des Drucks zu durchwachsen.

 

 

 

Monografie zu Jindrich Marco

 

In der neuen PHOTONEWS-Ausgabe vom Juni 2012 gibt es einen Artikel zu Jindrich Marco mit Bezug auf einen von Vladimir Birgus zusammengestellten Band in der Edition Fototorst. Hier ein Link zur Website des Verlags mit Informationen über dieses Buch : www.fototorst.com/book.php?pk=574