Eintritt frei Oper
Wem Kurt Blum nur durch sein allseits gelobtes Buch „Pictures of a Factory“ von 1959 (auf Deutsch 1960 unter dem Titel „Lebendiger Stahl“ erschienen) bekannt ist, könnte erstaunt sein über das Thema des hier vorgestellten Buchs. Oper und Fabrik sind auf den ersten Blick ja doch ziemliche Gegensätze. Aber zu den fotografischen Arbeiten Kurt Blums passt auch diese Spielwiese der sogenannten „Hochkultur“ ganz gut. Schließlich wurde er u.a. für seine Porträts von Künstlern bekannt. Schon 1957 waren seine Fotografien in einem im Piper Verlag erschienen Buch über Max Beckmann zu entdecken. Dort allerdings dienten sie der Reproduktion der Gemälde Beckmanns.
"Beckmann, Der Maler", München, 1957, R. Piper Verlag |
Reihe kleinformatiger Fotobücher
Das in Zusammenarbeit mit dem Autor Charles Imbert bei Editions Rencontre erschienene Buch "Eintritt frei Oper" ist Teil einer Reihe kleinformatiger Fotobücher mit jeweils durchaus gewichtigem Textanteil, auf den an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen wird. Wer sich näher über die Reihe informieren will, findet im von Peter Pfrunder herausgegebenen Standardwerk „Schweizer Fotobücher, 1927 bis heute“ eine Menge weiterer Informationen, auch Hinweise auf weiterführende Literatur. Im Anschluss an meinen Text findet sich ausserdem eine Auswahl von Einbandabbildungen der Reihentitel, aus denen immerhin der Name der jeweiligen Textautoren ersichtlich ist.
Neben der hier vorgestellten deutschsprachigen Ausgabe existiert auch eine französischsprachige unter dem Titel „J'aime l'Opéra“ (bereits 1962). Das Erscheinen in beiden Sprachen war Prinzip der Reihe. Ebenso wie der relativ autonome Status von Text und Fotografien. Dass hier weder ein Text mit Fotografien illustriert, noch Fotografien mit einem Text erläutert werden, ist schon durch die Anordnung in jeweils für sich stehende, blockweise Kapitelabschnitte in Ansätzen zu erkennen. So könnte man vielleicht in Bezug auf die Fotografien Kurt Blums von der Aufteilung in vier Bildessays sprechen, die in Bildauswahl und Sequenzierung ihre eigene Logik entfalten.
französischsprachige Ausgabe von 1962 |
Vier Bildessays
Der erste Bildteil arbeitet durchgängig mit in den Fotografien auftauchenden typografischen Elementen. Das können Programmhinweise in den Aushangkästen der Opernhäuser sein, aber auch ganz profan die Beschriftung eines LKWs zum Transport von Bühnenmaterial oder das Parkverbotschild vor dem Royal Opera House. Das ergibt eine originelle Annäherung an das Thema. Der zweite Bildessay widmet sich im Wesentlichen der Arbeit hinter den Kulissen und bei den Proben. Hier tauchen dann auch zum ersten Mal die im Buch gerne genutzten, fast schon filmischen Abfolgen von Bildern auf, welche zum Beispiel die Hand- und Körperbewegungen eines Chordirektors in sechs Einzelbildern auf einer Doppelseite wiedergeben.
In Blums dritten Beitrag zu diesem Buch steht dann der Ablauf eines Opernabends von der Ankunft der Zuschauer bzw. Zuhörer bis zur besonders betonten Interaktion zwischen Bühne und Publikum. Auch hier werden wieder aus dem Film stammende Elemente, wie Schuss und Gegenschuss (Geschehen auf der Bühne – das staunende Publikum, Verbeugung der Akteure – die applaudierenden Zuschauer) verwandt. Am Ende stehen Bilder des verlassenen Zuschauerraums mit dem Blick auf die jetzt von Vorhang und sogar Brandschutzwand verschlossene Bühne. Betitelt sind diese Aufnahmen aus der Oper in Amsterdam mit den Worten „Der Traum ist aus“.
Eigentlich könnte das jetzt bereits ein passendes Ende für den fotografischen Teil dieses Buches sein. Aber es folgt noch ein letzer Block von Aufnahmen Blums, die sich einem Sonderthema des Bereichs Oper widmen und zwar dem Geschehen in Bayreuth. Eingeleitet von der Aufnahme einer Porträtbüste Richard Wagners folgen hier Beobachtungen der Inszenierungen vor und nach dem eigentlichen Bühnengeschehen mit den prominenten oder auch anonymen Besuchern des "Hügels". Unterbrochen nur von einer kurzen Sequenz mit Aufnahmen von der Probenarbeit Maurice Béjarts für seine Tanzinszenierungen in Bayreuth. Schließlich taucht dann wieder eine Büste Wagners auf, dieses Mal mit einer danebenstehenden Programmverkäuferin, wahrscheinlich auf dem Gang vor der Tür zu einer Loge. Ein wirklich starkes Bild, wie so viele in diesem Buch, das neben der Montage der Abbildungen auch durch die Qualität vieler einzelner Aufnahmen besticht.
Samtiger Tiefdruck
An dieser Stelle sollte unbedingt die Mitarbeit Jacques Plancherels an der Gestaltung der Buchreihe und der jeweiligen Bildauswahl und -sequenzierung erwähnt werden. Es lässt sich natürlich schwer einschätzen, inwieweit die schließlich fürs Buch verwandten Ideen, wie die nachgerade filmische Abfolge der Bilder, von Kurt Blum selbst eingebracht wurden. Da sich in den anderen Bänden der Reihe aber Parallelen finden lassen, spricht einiges dafür, dass Plancherel, der als für den „Entwurf“ Verantwortlicher genannt wird, hier seine Hand mit im Spiel hatte.
Der Ablauf der beschriebenen Bildsequenzen wird sinnigerweise nicht durch irgendwelche Bildbeschriftungen oder Texte unterbrochen. Die Bilderläuterungen finden sich im Anhang des Buchs bzw. auf einem extra eingelegten Blatt. Angemerkt sei noch, dass für die deutschsprachige Ausgabe auf dem Einband die im Inneren des Buchs nicht genannte Basilius Presse als Verlag genannt wird.
Das für ein Fotobuch ungewohnt kleine Format sollte nicht über die Qualitäten dieses Buches und auch der ganzen Reihe hinwegtäuschen. Der samtige Tiefdruck mit den satten Schwärzen und Kontrasten und die offensichtliche Sorgfalt bei der Gestaltung der Bildteile können das Betrachten auch für thematisch vielleicht nicht wirklich Interessierte durchaus zum Vergnügen machen. Ganz frei ist der Eintritt zwar nicht. Aber bei Preisen fürs Buch, die im Normalfall deutlich unter den Kosten für eine Eintrittskarte in die Oper liegen, lohnt sich die Anschaffung für den Fotobuchliebhaber auf jeden Fall.
Fakten :
Kurt Blum, Charles Imbert: „Eintritt frei Oper“, Lausanne, 1963
Editions Rencontre / Basilius Presse
216 Seiten, 143 Abbildungen s/w, 13,5 cm x 20 cm,
Comments
Hermann Lohss
17. July 2012 - 8:41
Kurt Blum: "Au milieu des artistes"
Ein Buch, das einen Überblick über die Künstlerporträts von Kurt Blum gibt, erschien 1994 unter dem Titel "Au milieu des artistes" in Neuchatel bei Editions Ides & Calendes. Einer der kurzen Texte von Kurt Blum, die zwischen die Bilder geschoben sind, erzählt von der Reaktion Wieland Wagners auf die Fotografien aus Bayreuth für den Band "J'aime l'Opera" und die Arbeit mit Maurice Béjart während der Proben für die Tanzszenen der Tannhäuser Inszenierung..