Du Heft Nr. 419: "Amerika 76"
Die Zahl bekannter Fotografen, deren Bilder in der Schweizer Zeitschrift „Du“ veröffentlicht wurden, ist ziemlich groß. Dazu zählen Werner Bischof, Henri Cartier-Bresson, Herbert List, William Klein, Harry Callahan, Robert Frank, René Burri und viele weitere. Ein Blick in die Hefte der Zeitschrift lohnt sich deshalb immer wieder. Denn auch wenn nicht jedes Mal das ganze Heft fotografischen Themen gewidmet war und ist, lassen sich sehr oft schöne Beiträge aus diesem Bereich entdecken. Ganz besonders sehenswert das Themenheft zu Bruce Davidsons „New York - 100th Street“, das noch vor der Buchausgabe erschien und den meisten bekannt sein dürfte.
Ein nicht ganz so berühmtes Heft möchte ich diese Woche kurz vorstellen. Neal Slavin ist vor allem durch seine Gruppenporträts bekannt geworden. Auch wenn er 1971 bei Lustrum Press sein Erstlingswerk mit Fotografien aus Portugal veröffentlichte, wird er meist auf das Thema der Darstellung von (manchmal auch sehr großen) Gruppen festgelegt. Bücher wie „When two or more are gathered“ oder „Britons“, ebenso wie die Ausgabe der Schweizer Zeitschrift „Camera“ aus dem Mai 1974 zeugen davon, dass diese Einschätzung nicht ganz falsch ist. Ersteres Buch erschien übrigens im selben Jahr wie das hier vorgestellte Du-Heft und zeigt, wenn auch nur in sehr kleinem Format neben dem auf dem Cover übermächtigen Text, das gleiche Bild von der New Yorker Freiheitsstatue mit den dort Beschäftigten, wie das Cover des hier besprochenen Du-Hefts.
Neil Slavin: "Portugal", New York, 1971, Lustrum Press |
Heft zum 200. Geburtstag der USA
Dieses erschien zum 200. Geburtstag der USA im Januar 1976. Dominik Keller, der damalige Redakteur der Zeitschrift, geht in seiner Einleitung, auf die amerikanische Geschichte und die Bedeutung von Gruppen allgemein ein. Unter Zuhilfenahme von Wissenschaftlern verschiedener Gebiete beschreibt er die ganz unterschiedlichen Ausprägungen von Gruppen. Er schließt in seinen mehrseitigen Essay aber auch die Erörterung der Darstellung von Gruppen in Malerei und Fotografie mit ein. Hier wird im „typischen Du-Stil“ das Thema von etwas höherer, kulturhistorisch informierter Warte aus beschrieben, während dann Neil Slavin in seinen Fotografien in manchmal auch skurrilen Detailbeobachtungen das Thema auf „Gruppen im Niveau des Alltags“ (ein Zitat aus Slavins kurzem Text zu seiner Arbeit) herunterbricht.
Heft der Zeitschrift Camera vom Mai 1974 |
Slavin versammelt in seinen Fotografien eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Gruppen. Das reicht von den Überlebenden einer us-amerikanischen Einheit aus dem Ersten Weltkrieg, deren letztes Mitglied eines Tages die damals aus Frankreich mitgebrachte Magnum-Flasche mit Cognac bekommen wird, bis zur „Gary Owens Society of Girners“, einer Gruppe, die sich dem Schneiden von Grimassen verschrieben hat.
Individuelle Lösung für die einzelnen Gruppen
Slavin versucht für jede Gruppe eine individuelle Lösung für das Gruppenportät zu finden. Oft bezieht er dabei ein Gebäude (in Innen- oder Aussenansicht) oder auch für die Gruppenaktivität bezeichnende Details mit ein. Manchmal geht das durchaus zu Lasten der Erkennbarkeit der einzelnen Gruppenmitglieder auf dem Bild: Der Salt Lake Mormon Tabernacle Choir wird unter einer imposanten Orgel stehend im Scheinwerfer- und Lampenlicht aus der Dunkelheit herausgemeißelt. Ein Großteil der Fläche der Fotografie wird hier für die Beschreibung der theatralischen Auftrtittsituation des Chores verwendet. Wer da in der sechsten Reihe rechts hinten steht ist auch beim von Slavin verwendeten Mittelformat nur noch in Ansätzen auszumachen. Wobei mancher Detailverlust auch der nicht ganz perfekten Wiedergabequalität der Fotografien im Heft geschuldet sein mag. In einem anderen Bild verschwinden die Mitglieder des Flushing Volunteer Ambulance Corps fast im Eingangsbereich ihres kubusförmigen Gebäudes zwischen den beiden imposanten Krankenwägen. Auch wenn ein Lichtstrahl der Sonne auf sie ausgerichtet scheint.
Jedes Bild wird im unteren Teil der jeweiligen Seite begleitet von einem Text über die Aktivitäten und die Geschichte der porträtierten Gruppe. Auch Angaben zu Mitgliederzahlen fehlen nicht. Und im Zusammenspiel von Text und Fotografien ergibt sich in der Tat ein buntes Bild der amerikanischen Gesellschaft, das den zunächst vielleicht etwas gewagten Versuch ausgerechnet die USA, den Hort individueller Freiheit, in Gruppenporträts darstellen zu wollen, als durchaus gelungen erscheinen lässt. Calvin Trillin kommt in seinem kurzen Text „Des Amerikaners Gruppe“ zum Schluß: „Die Arbeit von Neil Slavin, so scheint mir, will amerikanische Gruppen ohne Kommentar dokumentieren, so wie sie sich der Welt präsentieren. Mit Hilfe ihrer Zeichen über Motive, Interessen und Ziele zu spekulieren, überlässt er wohlweislich dem Betrachter."
Vervollständigt wird das Thema durch einen Text Slavins zu seinen Arbeiten, in dem er den Prozess der Entstehung der Bilder schildert. Genaue Vorstudien und eine Abklärung der Lichtsituation vor Ort sind ihm unentbehrlich, um die Aufnahmesituation für die porträtierten Gruppen so entspannt wie möglich zu gestalten. Dazu dienen ihm auch Skizzen über die geplante Aufstellung der Personen und vorherige Probeaufnahmen der Räumlichkeiten.
Carol Kismaric zum Thema "Die Photographie im Buch"
Neben den Bildern und Texten zum Hauptthema dieser Publikation finden sich, wie in eigentlich allen Du-Heften, eine ganze Reihe weiterer Texte und natürlich auch Werbeseiten. Im vorgestellten Heft fällt ein kurzer Artikel Carole Kismarics zum Thema „Die Photographie im Buch“ auf. Da werden zwar die üblichen Verdächtigen (Walker Evans und James Agee mit „Let us now praise famous men“ oder Robert Frank mit „Die Amerikaner“) genannt und vorgestellt. Aber als kleines, inzwischen fast schon historisches Streiflicht auf die sichtlich schon länger währende Diskussion über das Thema Fotobuch kann das durchaus auch für den heutigen Leser noch von Interesse sein.
Die unten angefügten Bilddateien zeigen Cover ausgewählter Du-Hefte, die in Hinsicht auf das Thema Fotografie interessant sind. Es handelt sich allerdings nur um eine kleine Auswahl. Es lohnt sich, darüber hinaus auf Entdeckungsreise durch diese Hefte aus der Schweiz zu gehen.
Fakten:
Du-Heft Nr. 419 Neil Slavin: "Amerika 76", Zürich, 1976
Conzett + Huber AG
80 Seiten, 52 Seiten mit den Gruppenporträts von Neil Slavin (davon 12 in Farbe), 29,5 cm x 23 cm
Comments
Hermann Lohss
19. October 2013 - 0:31
Gesamtes DU-Heft als PDF
Inzwischen sind die Hefte der Zeitschrift DU zum großen Teil im Internet als PDF-Dateien komplett abrufbar. Wer das am Beispiel des hier vorgestellten Heftes ausprobieren will, kann diesen Link benutzen. Anschließend viel Spass beim Stöbern in den zahlreichen anderen Heften.