Resilience
Auf dem Einband dieses Buchs des Fotografen Mike Roelofs (geb.1981), das ohne Umschlag ausgeliefert wird, ist keine fotografische Abbildung zu sehen. Stattdessen prangt da ein großes „R“, das nicht nur aufgedruckt, sondern auch in den Karton geprägt ist. Das „R“ steht für den Begriff „Resilience“, den Titel des Buchs, der darin folgendermaßen definiert wird: „Resilience: the adaptive capacity to rebound from pressure through flexibility and perseverance.“ Das „R“ bezieht sich aber auch auf weitere Begriffe, denn es geht um die Situation der Roma in Rumänien.
Bestätigung von Vorurteilen?
Man sieht in diesem Buch eine ganze Menge an Bildern, die so manches gängige Vorurteil über Rumänien und die Roma zu bestätigen scheinen: vor sich hinrostende und zerfallende Industrieanlagen, verschlammte und zugemüllte Wege und Straßen, windschiefe Hütten und betonierte Wohnblöcke. Und das ist noch nicht alles, sondern eine ganze Menge prekärer Lebensverhältnisse werden ebenfalls abgebildet und im Text beschrieben.
So sind auch nicht alle meiner rumänischen Freunde begeistert von diesem Buch. „Nicht schon wieder ein solcher Blick auf unser Land!"“ heißt es da schon mal. Prostitution, Krankheit, Alkoholismus, die schwierige Situation von Behinderten, keines dieser Themen wird ausgelassen.
Doppelseite 6 / 7 © Mike Roelofs |
Aber es gibt auch die Erfolgsgeschichten des erfolgreichen Politikers oder der engagierten Lehrerin. Und das Buch verzichtet darauf einfache Wahrheiten zu beschreiben oder zu illustrieren, weil es diese bei den verhandelten Themen offensichtlich nicht gibt. Ungefähr in der Mitte des Buchs folgt auf eine Einzelseite mit der Definition von „Resilience“ ein Bild mit einem zentralen Motiv: Ein in aufgeweichtem Schlamm stehender Wohnkubus mit Satellitenantennen, fleckigem und bröckelndem Putz. Fast könnte dieser Block unvermittelt aus dem Weltall in dieser unwirtlichen Gegend gelandet sein. Und vielleicht spricht das Bild dann dafür, dass es mit der Selbstbehauptung unter widrigen Umständen klappt. Vielleicht ist das aber auch ganz im Gegenteil die Illustration der These, dass es sowieso für alles zu spät ist, ausser für einen genauen Blick auf die einzelnen Menschen. Und der ist es, um den es der Anthropologin Fanny Jol (geb.1976), welche die Texte beisteuerte, und Mike Roelofs geht: „It’s time that people get to know the Roma - not as a group, but as the individuals that they are."
Doppelseite 62 / 63 © Mike Roelofs |
Die angesprochenen Texte beruhen auf Gesprächen mit vielen der im Buch abgebildeten Menschen, immer wieder handelt es sich auch um wörtliche Zitate. Dabei ist der Index der Bilder im Anhang beim Lesen des Buchs wichtig. Denn durch diesen lassen sich die porträtierten Personen den Zitaten und Texten zuordnen. In der Abfolge der Texte und Bilder im Buch ist diese Zuordnung immer wieder aufgebrochen.
Blick auf Details
Das Zusammenspiel zwischen Texten und Bildern spielt für die Montage im Buch offensichtlich eine entscheidende Rolle. So wie zwei Bildseiten, aber auch zwei Textseiten sich gegenüberstehen können, kommen auch gemischte Varianten vor. Oder ein Text bzw. ein Bild stehen auf einer Doppelseite für sich alleine. Das ist aber nicht zufällig so über die Seiten des Buches verteilt, sondern genau kalkuliert. Da kommt es vor, dass der Text eines Porträtierten dem Porträt der selben Person gegenübersteht. Manchmal folgt aber auch eine Doppelseite mit Bildern, die den Text der Vorseite zu konterkarieren scheint. Widersprüche scheinen auf oder Text und Bild bestätigen und verstärken sich gegenseitig, was insgesamt ein durchaus sperriges Zusammenspiel ergibt, das aber beabsichtigt ist und vorschnelle Schlüsse der Leser und Betrachter sogleich wieder ins Wanken bringt.
Die oftmals grün- und brauntönigen Farben von Roelofs Bildern kennt man auch von anderen fotografischen Projekten, die aus dem Osten Europas berichten. "In Romania everything seems to be drenched in a pastel hue, from people’s dusty clothes to the walls of almost every building." Das verleiht dem Buch dann doch eine große optische Geschlossenheit, wobei die Abfolge von Bildern souverän Landschaften, Porträts, teilweise auch in Großaufnahmen, und Wohnungsdetails mischt.
Am Anfang und am Ende des Buchs stehen Bilder von großen leeren Werbetafeln. Vielleicht sind das Stellvertreter für eine Menge an Bildern und Slogans, Vorstellungen und Meinungen. Einen Pfad durch dieses Dickicht von vorhandenen (Vor)urteilen zu schlagen, ist ein Ziel dieses Buchs, das keine allumfassende Antworten liefern, aber den Blick auf Details und den Einzelnen schärfen will. Wer ein wenig Gespür dafür bekommen will, was und vor allem wer hinter den immer wieder auftauchenden Schlagzeilen in der westlichen Presse zum Thema steckt, dem sei dieses Buch empfohlen.
Fakten:
Mike Roelofs : „Resilience“, Utrecht, 2010
Eigenverlag
ISBN: 978-90-815848-1-4
160 Seiten, 80 Abbildungen in Farbe, 29 cm x 25 cm,
Auflage : 500 nummerierte Exemplare
Website des Fotografen mit Bestellmöglichkeit und weiteren Informationen zum Buch