Bag Saga Blok

Autor(en): 
Krass Clement: "Bag Saga Blok", Kopenhagen 2014, Gyldendal
 
Kinos sind Orte an denen Realität und Traum sich auf ganz eigentümliche Weise vermischen. Und die dort gezeigten Filme erlauben Reisen über Raum und Zeit hinweg, ohne sich aus dem Kinosessel fortzubewegen. Das neue Buch von Krass Clement (geb. 1946) spielt im Stadtviertel Vesterbro seiner Geburtsstadt Kopenhagen, rund um das ehemalige Kino Saga. Insofern sind die Bilder für das Buch auf geographisch eng begrenztem Raum entstanden. Ihre Abfolge erlaubt aber eine Art Zeitreise, denn die Fotografien entstanden über viele Jahre von 1963 bis 2010. Wobei diese Zeitreise nicht linear sondern in vielfältigen Volten und Vor- und Rückwärtsbewegungen erfolgt, da die Bilder nicht chronologisch geordnet sind.
 
 
Viele dunkelgraue Backsteinmauern bilden so etwas wie den Fond dieses Buches. Flecken rinnen diese Wände herab oder breiten sich auf den Böden aus. Das kann Regen sein oder tauender Schnee, vielleicht sind das manchmal aber auch Reste von alkoholischen Getränken oder Körperflüssigkeiten. Das Schwarz-Weiß der Bilder birgt in dieser und anderer Hinsicht einige Geheimnisse. Manchmal weiß man nicht so genau, ob man sich jetzt vielleicht sogar in einem Albtraum befindet. Die Bilder sind düster genug dafür. Aber andererseits sind sie eigentlich zu ruhig, um zu einem echten Albtraum zu gehören. Selbst wenn man in eine vermüllte Wohnung oder auf das Spritzbesteck der Drogensüchtigen schaut, ist immer etwas von der Anwesenheit des Fotografen spürbar, die etwas vom Druck nimmt. Die Präsenz Krass Clements in seinen Bildern ist auch in Bag Saga Blok manchmal atemberaubend.
 
 
Das Viertel Vesterbro war zeitweilig stark geprägt vom Rotlichtmilieu und von Drogen. Heute zählt es zu den In-Vierteln Kopenhagens. Viel ist derzeit zu lesen von der Gentrifizierung von Stadtvierteln in Berlin, London oder anderen Großstädten der westlichen Welt. Insofern ist das Buch auch ein zukünftiger Blick zurück in eine vielleicht nicht bessere, aber andere Vergangenheit. Das Kino Saga, das einmal mit ungefähr 2000 Plätzen das größte Kino Nordeuropas war, ist aus diesem Blickwinkel ein ideales Symbol. Irgendwann aufgeteilt und genutzt als Pornokino und Veranstaltungssaal wurde es schließlich 1997 abgerissen. Im Buch sieht man die analogen, inzwischen altertümlich anmutenden Projektoren. Und die Ausgänge öffnen sich kurz vor dem Ende des Baus auf rissigen, von Sträuchern und Gestrüpp bewachsenen Beton. 
 
Zugleich ist Bag Saga Blok aber auch ein Buch über das Büchermachen. Und das nicht nur aufgrund des farbigen Vorspanns, der in einer Tiefgarage spielt und in dem sich schließlich drei Menschen um ein Buch gruppieren. Immer wieder verweist die Bildfolge auf mögliche Verbindungen zwischen den einzelnen Aufnahmen, wiederholen sich Aufnahmeorte und Situationen, wird klar, dass sich das Buch eigentlich erst im Kopf des Betrachters wirklich zusammensetzt. In dieser Hinsicht ist es ein Spiel mit den Möglichkeiten Fotografien im Buch anzuordnen. Das heißt nicht, dass die Entscheidung über die Sequenzierung der Bilder im gedruckten Buch unwichtig ist. Aber man spürt es bei allen Büchern Krass Clements, dass sie dem Betrachter erhebliche Freiheiten lassen. Das gilt selbst für ein von manchen fast als klaustrophobisch empfundenes Buch wie „Drum“.
 
 
Man sollte Bag Saga Blok wahrscheinlich ohne allzu ausführliche, vorherige Erklärungen anschauen und einfach selber in und zwischen den Bildern lesen. Auch in diesem Buch Clements sind die geschriebenen Worte auf ein Mindestmaß beschränkt. Kein erklärender Essay als Vorwort legt den Betrachter auf eine Sichtweise fest. So bleibt vieles ein Geheimnis. Und das ist eine der großen Stärken des Buches. Es entwickelt sich eine sehr persönliche und dichte Erzählung über einen Stadtteil und das vielfältige Leben dort, mit all den Veränderungen über die Jahrzehnte. Wobei die Anfangsbilder aus der fast unheimlich beleuchteten Tiefgarage, die sich unter dem Supermarkt findet, der heute die Stelle des früheren Kinos einnimmt, dann vielleicht doch darauf hinweisen, dass sich so viel gar nicht geändert hat. Im Kopfe des Betrachters ergibt diese Erzählung jedenfalls einen ganz eigenen Film. Im letzten Bild ragen Baukräne quer durch den Nachthimmel. Aber eine der hohen, fensterlosen Backsteinmauern steht noch. Und aus manchen Fenstern des benachbarten Hauses dringt Licht. Fenster und Türen sind in vielen Arbeiten Krass Clements wichtig. Vom Leben davor und dahinter erzählt auch Bag Saga Blok.
 
 

 

Fakten:
 
Krass Clement: „Bag Saga Blok“, Kopenhagen 2014
Gyldendal
ISBN: 978-87-02-16816-7
224 Seiten, 190 Abbildungen in S/W und 9 in Farbe, 28 cm x 25 cm, Halbleinen mit Fotoillustration
Auflage von 500 Exemplaren