Istanbul. City of a Hundred Names
In einem kurzen Einleitungstext zu seinen Fotografien beschreibt Alex Webb sein besonderes Interesse an Grenzen: „I had been drawn to borders and the edges of society, where different cultures come together, sometimes clashing, sometimes fusing.“ Nach intensiver Arbeit zum Thema der Grenze zwischen den USA und Mexiko, widmet er sich im vorliegenden Band Istanbul. Diese Stadt befindet sich für ihn an der Schnittlinie zwischen Ost und West, Asien und Europa, Islam und Säkularismus, Altertum und Moderne.
Intensive Farben und Kontraste
Und das mit der Schnittlinie nimmt er für viele seiner Fotografien wörtlich. Auffallend häufig sind diese durch meist vertikale Linien geteilt, manchmal sind sie in mehrere Sektoren gesplittet, ab und zu scheinen sie innerhalb der Bildränder in mehrere Rahmen geteilt zu sein. Aber das ist nicht die einzige Auffälligkeit in der Komposition seiner für dieses Buch ausgewählten Bilder. Oftmals wählt er Blicke durch Scheiben, spielt dann in seinen Aufnahmen mit Spiegelungen und Trübungen. Und auch hier wieder folgt eine Art Trennung, diesmal in ein Drinnen und ein Draußen. Wobei in diesem Fall die Bereiche nicht wirklich scharf getrennt sind, sondern oft schier unentwirrbar ineinanderfließen.
Da die einzelnen Bilder hinreichend komplex sind, ist es durchaus passend, dass für das Layout eher selten Doppelseiten gewählt wurden. Überwiegend befindet sich die einzelne Abbildung (wie in vielen Büchern üblich) auf der rechten Seite, während die linke Seite (bis auf die Angabe der Seitenzahl und des Stadtteils als Ortsangabe samt der Jahreszahl der Entstehung der Fotografie) weiß bleibt.
Geprägt sind die Fotografien neben den angesprochenen Besonderheiten des Bildaufbaus auch von den bei Alex Webb gewohnt intensiven Farben in Kombination mit starken Kontrasten. Da saufen schon mal das Gesicht und der Oberkörper einer Person im dunklen Schwarz der Schatten ab, während die Blue Jeans des gleichen Mannes leuchtend hervortritt. Auch das Bild des Jungen mit der Zuckerwatte vom Cover dieses Buches ist ein typisches Beispiel für Webbs Einsatz von Farbe und Kontrast.
Hüzün - Melancholie
Der Nobelpreisträger Orhan Pamuk schreibt in seinem für dieses Buch ausgewählten Essay „ Hüzün“ über verschiedene Formen von Melancholie, die für ihn das Bild dieser Stadt und ihrer Menschen prägen. Und auch für Alex Webb stellt sich Istanbul als ein „vibrant and melancholy place“ dar. So prägt wohl auch diese Beobachtung viele seiner Bilder. Lachende oder auch nur lächelnde Menschen wird man in diesem Band kaum finden. Falls doch, dann strahlen sie einem von der im westlichen Einheitsstil gehaltenen Werbung entgegen, die sich ab und zu in die Bilder einzudrängen scheint.
Einband mit einer eingeprägten Kalligraphie |
Alex Webb hat meiner Meinung nach in seinem Istanbul-Buch eine ziemlich perfekte Balance geschaffen. Seine Art der „Street Photography“ ist hier durchaus von einem starken Formwillen geprägt. Und trotzdem ordnet er nicht alle Bilder solchen grafischen Prinzipien unter. Grenzen und Schnittlinien spielen eine starke Rolle. So wie die von Pamuk detailreich beschriebenen Spielarten der Melancholie ihren Ausdruck in den Bildern zu finden scheinen. Aber dann ist da doch immer noch etwas mehr. Passend zum Untertitel des Buches: „City of a Hundred Names“.
Fakten :
Alex Webb: „Istanbul. City of a Hundred Names“, New York, 2007
Aperture
ISBN : 978-1-59711-034-1
136 Seiten, 75 fotografische Abbildungen (davon 1 in S/W), 25,5 cm x 30,5 cm