Wayne Lawrence: "Orchard Beach. The Bronx Riviera"
Für eine Fotoausstellung, die während der kommenden Sommermonate gezeigt wird, kann es wahrscheinlich kein passenderes Thema geben als Bilder vom Strandleben. Die Fotografien von Wayne Lawrence (geb. 1974), die zur Zeit im Deutsch-Amerikanischen Institut (d.a.i.) in Tübingen zu sehen sind, könnten allerdings einige Erwartungen enttäuschen, falls mit dem Begriff Strandleben lachende, herumtollende Kinder und bunt-chaotische Liegeplätze im Sand verbunden werden. Die Inszenierung der großformatigen Porträts der Strandbesucher hat wenig mit den üblichen Schnappschüssen von Ausflügen ans Meer zu tun. Und auch die Art und Weise, in der Martin Parr am Strand fotografiert, ist eine ganz andere. Die Besucher der Orchard Beach, dem Strand der Bronx in New York, schauen mit meist ernstem, vielleicht auch etwas skeptischem Blick, immer aber selbstbewußt direkt in die Kamera.
Cinnamon aus der Serie Orchard Beach © Wayne Lawrence |
Beeindruckende Präsenz
Was sofort auffällt, ist die Präsenz, die alle Porträtierten ausstrahlen. Besonders beeindruckend, da die Personen dem Betrachter der Ausstellung zumeist in Lebensgröße gegenüber stehen und man schon ungefähr 1,90 m groß sein muss, um ihnen Auge in Auge gegenübertreten zu können. Die Porträts sind vielleicht auch deshalb so wirkungsvoll, da sie auf verschiedenen Ebenen funktionieren. Wer mag, kann Studien in empirischer Kulturwissenschaft betreiben und die Porträtierten unter modischen Gesichtspunkten (Badekleidung, Schmuck, Tattoos) und in Hinblick auf eventuelle Gruppenzugehörigkeiten betrachten. Zugleich ist aber die Individualität der Abgebildeten in den Bildern sehr schön hervorgehoben. Nirgends steht, wie sonst bei Strandfotos so häufig der Fall, die Masse Mensch im Vordergrund. Die Horizontlinie des Wassers oder der Bäume und ein paar unscharfe, menschliche Shilouetten im Hintergrund, lenken nie von den Einzelporträts ab. Ganz im Gegenteil heben sich durch die wirkungsvolle Lichtsetzung auf die Porträtierten diese besonders gut vom oft fast monochromen Fond ab. Wobei sich nicht nur Einzelpersonen sondern auch Paare und Familien mit Kindern auf vielen der Aufnahmen wiederfinden und dann zu Bildern führen, die zusätzlich die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen in Szene setzen.
Lamar Family aus der Serie Orchard Beach © Wayne Lawrence |
In der Etablierung der verschiedenen Strände in New York in den 1930er Jahren kann man durchaus ein rassistisches Projekt der Segregation sehen, wie in der kurzen aber sehr informativen Einführungsrede von Dr. Johanna Roering (Universität Tübingen) am Eröffnungsabend deutlich wurde. Reaktionen in Kommentaren zu Veröffentlichungen der Fotografien im Internet machen deutlich, dass offensichtlich auch heute rassistische Verachtung und Abgrenzungsstrategien bei vielen als normal angesehen werden. Wirklich erschreckend, denn gerade diese Bilder von Wayne Lawrence könnten die Betrachter eigentlich von der bunten „Family of Man“ überzeugen.
Ausstellung - Buch
Zu dieser Serie von Porträts ist im Prestel Verlag im vergangenen Jahr ein Buch erschienen, das eine andere Mischung an Bildern zeigt. Während in der Ausstellung nur Farbaufnahmen aus mittlerer Distanz zu sehen sind, gibt es im Buch auch schwarz-weiße Porträts, Bilder größerer Gruppen, Kopfstücke und einige wenige eingestreute Stillleben. Die beeindruckende Geschlossenheit der Inszenierung der Ausstellung, die auch im relativ engen Gang des d.a.i. überraschend gut funktioniert, erreicht das Buch damit nicht. Es bietet dafür neben dem zusätzlichen Bildmaterial ein Vorwort des Fotografen, der in diesem sehr persönlichen Text über seine Arbeit berichtet, und ausserdem einen schönen Essay von David Gonzalez, der einem manche der Abgebildeten näherbringt.
Allerdings lautet meine unbedingte Empfehlung die Bilder, die auf Anfrage über das d.a.i. auch erworben werden können, in Originalgröße anzuschauen und zu staunen! Für wen der Weg nach Tübingen zu weit ist, der/die kann sich ausser im Buch auch im Internet auf den Seiten des Fotografen einen Einblick in diese faszinierende Werkgruppe verschaffen.
Fakten: